Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Immobilienbranche: Kurz vor der Münchner EXPO REAL hat der Deutsche Bundestag den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ („BEG IV“, Drucksache 20/11306) in dritter Lesung beschlossen. Dieses enthält insbesondere eine Abschwächung bisheriger Formerfordernisse in zahlreichen zivilrechtlichen Bereichen, der Slogan lautet nach dem Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft“.
Betroffen ist unter anderem auch das Gewerberaummietrecht. War bislang für Festlaufzeiten von über einem Jahr die Einhaltung der Schriftform (und das Vermeiden von Schriftformverstößen während der Festlaufzeit) zwingend, so soll nach dem BEG IV nun die sog. Textform ausreichen. Gewerberaummietverträge mit Festlaufzeiten von über einem Jahr könnten demnach künftig auch ohne eigenhändige Unterschrift oder qualifizierte elektronische Signatur, beispielsweise per E-Mail, abgeschlossen und geändert werden.
Was im klassischen Gewerberaummietrecht zur Erleichterung führen kann, schürt zumindest bei Immobilienerwerbern die Angst vor Sodom und Gomorra im Rahmen der Transaktion aufgrund intransparenter Vertragsbeziehungen. Zu Recht?
Zum Hintergrund:
Bislang bedurfte jeder Abschluss sowie Änderung eines Gewerberaummietvertrags gem. §§ 578, 550 BGB der Schriftform, wenn dieser eine Festlaufzeit von über einem Jahr beinhalten sollte. Mietverträge mussten folglich ausgedruckt und eigenhändig von beiden Parteien auf einem Dokument unterschrieben oder zumindest durch spezielle Software qualifiziert elektronisch signiert werden. Dies hatte darüber hinaus in einer Urkunde zu geschehen (sog. Urkundeneinheit), weshalb Nachträge den jeweils in Bezug genommenen Gewerberaummietvertrag zumindest unzweifelhaft genau bezeichnen und jedenfalls gedanklich miteinander verknüpft werden mussten, idealerweise wurde sogar eine körperliche Verbindung hergestellt.
Hintergrund der Schriftform war insbesondere der Schutz des Immobilienerwerbers, der mit dem Erwerb der Mietfläche automatisch als neuer Vermieter in das bestehende Mietverhältnis eintritt und bereits vor dem Ankauf erkennen können soll, auf welche Vereinbarung er sich hierbei einlässt. Waren Vereinbarungen mangels Schriftform für ihn nicht nachvollziehbar, so sollte er sich von entsprechenden Gewerberaummietverträgen zumindest vorzeitig lösen können. Die erleichterte Beweisbarkeit einzelner Vereinbarungen war lediglich positiver Nebeneffekt der Schriftform. Wurde die Schriftform nicht eingehalten, führte dies zur ordentlichen Kündbarkeit des Gewerberaummietvertrags – nicht nur zugunsten des Erwerbers, sondern auch der ursprünglichen Mietvertragsparteien.
Was eigentlich nur zum Schutz des Immobilienerwerbers gedacht war, wurde überwiegend von den ursprünglichen Mietvertragsparteien genutzt. Nicht selten wurde ein bereits bei Abschluss des Mietvertrags oder seiner Änderung erkannter Schriftformverstoß zumindest billigend in Kauf genommen, um sich die spätere, vorzeitige Loslösung von einem sich ungünstig entwickelnden Mietvertrag offenzuhalten. Um dies zu vermeiden, etablierten sich in der Mietvertragsgestaltung immer ausführlichere Schriftformheilungs- und Reparaturklauseln, die eine vorzeitige Kündigung zumindest treuwidrig erscheinen lassen oder den Vertragspartner zur Heilung eines Formmangels zwingen sollten.
Ausweislich der Entwurfsbegründung der Bundesregierung war gerade dieses Spannungsfeld zwischen den ursprünglichen Mietvertragsparteien eines der Motive für die nun geplante Herabstufung der für Gewerberaummietverhältnisse erforderlichen Form.
Nach dem BEG IV wird die Verweisungsvorschrift des § 578 Abs.1 BGB derart geändert, dass der zuvor uneingeschränkte Verweis auf das Schriftformgebot in § 550 BGB gestrichen und stattdessen der Satz „§ 550 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein Mietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr nicht in Textform geschlossen wird, für unbestimmte Zeit gilt“ eingefügt wird.
Nach Auffassung der Bundesregierung werde dem Schutz des Erwerbers durch die Einhaltung der Textform ausreichend genüge getan. Schließlich erfordere auch die Textform eine sog. „verkörperte“ und damit für Dritte nachvollziehbare Gedankenerklärung, die nach den Vorgaben des § 126b BGB auf einem „dauerhaften Datenträger“ abzugeben und damit eine langfristige Speicherung der Vereinbarung zu gewährleisten ist.
Nicht von der Entwurfsbegründung aufgegriffen ist dagegen der künftige Umgang mit der vorgenannten Urkundeneinheit. Müssen sich auch Vereinbarungen per E-Mail zumindest gedanklich derart miteinander verbinden lassen und wechselseitig aufeinander Bezug nehmen, dass deren Zusammengehörigkeit nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann?
Zwar ist davon auszugehen, dass sich in verschiedenen E-Mails enthaltene Vereinbarungen zu ein und demselben Mietverhältnis auch künftig gedanklich verbinden lassen müssen, in dem auf die jeweilige Ursprungsvereinbarung sowie bisherige Nachträge Bezug genommen wird. Ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt sich dieses Erfordernis jedoch zumindest nicht zweifellos; Das Erfordernis der Urkundeneinheit bezieht sich demnach nur auf Vereinbarungen, die zumindest der Schriftform unterliegen.
In anderem Zusammenhang wird in der juristischen Literatur bereits diskutiert, wie diese Urkundeneinheit bei Erklärungen in Textform herbeigeführt werden können soll und ob sich die Erklärungen hierfür auf demselben Trägermedium befinden müssen, beispielsweise auf einem USB-Stick. Mit der nun zu erwartenden Gesetzesänderung zum Gewerberaummietrecht wird diese Diskussion deutlich verschärft werden, zumal ein E-Mail-Postfach zumindest nicht pauschal mit einem USB-Stick zu vergleichen sein wird. Sind E-Mails mit Vereinbarungen zu einem Mietverhältnis daher in einem separat für diesen bestimmten Ordner abzulegen, um ausreichend verknüpft zu sein? Ist ein solcher Ordner gar auf der Festplatte zu speichern, um eine langfristige Speicherung der Vereinbarung gewährleisten zu können? All diese Fragen werden durch das neue BEG IV nicht geklärt. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber hier noch für Klarheit sorgt oder dies der Rechtsprechung überlässt.
Auswirkungen auf die Praxis:
- Anders als im Regelfall, wonach jeweils das zum Vertragsschluss geltende Recht anzuwenden ist, gilt nach der geplanten Übergangsvorschrift des BEG IV nach Ablauf von 12 Monaten seit Inkrafttreten auch für bereits vor Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung abgeschlossene Gewerberaummietverhältnisse das neue Recht – zuvor bestehende Kündigungsmöglichkeiten entfallen. Zuvor sollen Kündigungen unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform nach der Klarstellung der Entwurfsbegründung weiterhin möglich sein sollen.
Es empfiehlt sich daher, aktuelle Bestands-Gewerberaummietverträge mit längerer Festlaufzeit auf einen Verstoß gegen die Schriftform überprüfen zu lassen, um sich im Falle eines Verstoßes noch rechtzeitig von unliebsamen Bindungen zu trennen oder diese bei günstigen Mietverträgen heilen zu können.
Werden Bestandsmietverträge nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung geändert, gilt das neue Recht bereits ab diesem Zeitpunkt für sämtliche Regelungen des Mietvertrags und damit gegebenenfalls bereits vor Ablauf der Übergangsfrist!
- Die eigenhändige Unterschrift (und damit die Einhaltung der Urkundeneinheit) wird zumindest für diejenigen Gewerberaummietverträge weiterhin erforderlich sein, für die sich das Erfordernis der Schriftform nicht nur aus dem Gesetz ergab, sondern auch ausdrücklich vertraglich vereinbart Werden Änderungen des Gewerbemietraumvertrags trotz vertraglich vereinbarter Schriftform nur per E-Mail vereinbart, sind diese unverändert unwirksam und bergen des Risiko einer vorzeitigen Kündbarkeit!
Darüber hinaus können auch faktische Vertragsabweichungen sowie mündliche Abreden weiterhin einen Formverstoß mit der Folge des § 550 BGB auslösen und sind folglich zu vermeiden.
Nicht zuletzt aufgrund der verschwimmenden Grenzen der bloßen Vertragsverhandlung und des Vertragsschlusses ist die Einhaltung der Schriftform samt entsprechender Schriftformabrede für langfristige Gewerberaummietverträge weiterhin zu empfehlen.
- Im Bereich der Immobilientransaktionen wird künftig auf Erwerberseite bereits im Q&A-Prozess ein erhöhtes Augenmerk auf sämtlicher E-Mail-Korrespondenz zwischen Gewerbevermieter und -mieter liegen, im Rahmen des späteren Kaufvertrags sind verschärfte Garantieerklärung des Verkäufers über das Nichtvorhandensein weiterer Vereinbarungen absehbar.
Gerade bei größeren Portfolien wird dies – entgegen der Zielrichtung des BEG IV – nicht zu einem verringerten, sondern deutlich verschärften bürokratischen Aufwand führen und ist der vom Gesetzgeber vertretenen These, der Erwerber sei durch die Textform in gleicher Weise wie durch die Schriftform geschützt, entschieden entgegenzutreten.
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass sich die Gesetzesänderung ausschließlich auf Mietverträge bezieht, die nicht Wohnraum zum Gegenstand haben.
Im Wohnraummietrecht ist daher zur wirksamen Befristung sowie zur Vereinbarung einer Index- oder Staffelmiete weiterhin die Einhaltung der Schriftform sowie der Urkundeneinheit erforderlich!
Für alle Fragen rund um das Thema Gewerberaummietrecht stehen Ihnen unsere Rechtsanwältinnen Dr. Marina Schäuble und Stefanie Kögl-Kasipović gerne zur Verfügung.