Wird gegen ein Unternehmen ein Kartellbußgeld verhängt, stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage einer Regressfähigkeit dieses Bußgeldes gegenüber den Geschäftsführern beziehungsweise dem Vorstand des Unternehmens. Die in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor umstrittene Problematik hat jüngst auch den Bundesgerichtshof beschäftigt und lässt damit auf eine höchstrichterliche Klärung hoffen. Mit Beschluss vom 11. Februar 2025 hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegensteht, nach der ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder dafür in Regress nehmen kann (Az. KZR 74/23, vgl. Pressemitteilung Nr. 031/2025). Das dem Vorlagebeschluss zugrunde liegende Verfahren wirft grundsätzliche Fragen der Geschäftsführer- bzw. Vorstandshaftung auf; die dahinterstehende Problematik lohnt daher einer näheren Betrachtung.
I. Zur Regressfähigkeit von Kartellbußgeldern
Die Frage, ob ein im Wege eines Kartellbußgeldes in Anspruch genommenes Unternehmen hierfür Regress bei seinen Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern nehmen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Eine verbreitete Literaturansicht bejaht die Ersatzfähigkeit einer gegen die Gesellschaft verhängten Verbandsgeldbuße grundsätzlich, begrenzt den Regress aber überwiegend der Höhe nach. Nach dieser Ansicht werde die Regressfähigkeit der Verbandsgeldbuße nicht durch die ordnungsrechtlichen Sanktionszwecke präjudiziert, welche vielmehr mit Verhängung der Geldbuße als erreicht anzusehen seien. Teile der Rechtsprechung und des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums gehen dagegen davon aus, dass die Organleiterhaftungstatbestände (§ 43 Abs. 2 GmbHG beziehungsweise § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) aufgrund der Sanktionszwecke der §§ 81a bis 81d GWB in ihrem Anwendungsbereich teleologisch zu reduzieren seien und daher die Erstattung eines seitens des Bundeskartellamtes nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht verhängten Unternehmensbußgeldes nicht umfassten. Auf dieser argumentativen Linie befand sich auch die Argumentation der Vorinstanzen des dem Vorlagebeschluss des BGH zugrunde liegenden Rechtsstreits (LG Düsseldorf sowie OLG Düsseldorf). Die praxisrelevante Streitfrage ist derzeit noch nicht höchstrichterlich geklärt.
II. Bewertung des Vorlagebeschlusses und Ausblick
Der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs legt nun nahe, dass das Gericht die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation der nationalen Organhaftungstatbestände bereits durch das in Art. 101 AEUV zu verortende unionsrechtliche Gebot einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung von Kartellverstößen veranlasst sieht. Der EuGH hatte sich bereits in der Vergangenheit kritisch zur Frage der (teilweisen) steuerlichen Absetzbarkeit von Geldbußen geäußert und diesbezüglich eine Beeinträchtigung der effektiven Durchsetzung des europarechtlichen Kartellverbots nahegelegt (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009 – C-429/07, BeckRS 2009, 70633 Rn. 39). Die noch ausstehende Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH darf vor diesem Hintergrund mit Spannung erwartet werden.
Der Autor Dr. Lepej ist Mitglied der Praxisgruppe Gesellschaftsrecht. Für weitere Fragen zum Thema Organleiterhaftung oder zum Thema Gesellschaftsrecht im Allgemeinen steht Ihnen unsere Praxisgruppe Gesellschaftsrecht bei RITTERSHAUS gerne zur Verfügung.
Rechtsanwalt Dr. André Lepej