Bestehende Rechtslage
Die Inanspruchnahme von Gesellschafterdarlehen ist für Gesellschaften, insbesondere aufgrund der steuerlichen Vorteile gegenüber der Inanspruchnahme eines externen Darlehens, ein gerne genutztes Mittel zur kurzfristigen Erlangung von Liquidität. Und auch für den darlehensgebenden Gesellschafter erscheint die Darlehensgewährung durchaus attraktiv, kann sie sich doch sowohl kurzfristig (Zinseinnahmen) als auch langfristig (steigende Ausschüttungen durch Wachstum der Gesellschaft) finanziell zu seinen Gunsten auswirken.
Zum Problemfall werden kann ein Gesellschafterdarlehen für den gewährenden Gesellschafter jedoch dann, wenn die begünstigte Gesellschaft in die Krise gerät. Im Falle der Insolvenz nämlich muss der Gesellschafter mit seinem Darlehensrückzahlungsanspruch hinter die Forderungen der übrigen Insolvenzgläubiger zurücktreten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO), kann seine Forderung grundsätzlich nicht zur Tabelle anmelden (§ 174 Abs. 3 InsO) und muss eine bereits erhaltene Rückzahlung ggf. sogar wieder zurückgewähren (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO). In letzter Konsequenz geht der darlehensgebende Gesellschafter im Krisenfall damit in aller Regel leer aus.
Dies gilt allerdings nur insoweit, als das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht auch tatsächlich zur Anwendung gelangt. Und genau diese Anwendbarkeit scheint seit Beginn des Jahres selbst im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland keineswegs mehr gesichert, sofern man es mit einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zu tun hat.
Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs
In einem (aktuell ausgesetzten) Revisionsverfahren ist der Bundesgerichtshof (BGH) derzeit zur Entscheidung über die folgende Fallkonstellation berufen: Eine österreichische Gesellschaft hatte ihrer deutschen Tochtergesellschaft ein Gesellschafterdarlehen gewährt, wobei der Darlehensvertrag per Rechtswahl der Parteien dem österreichischen Recht unterstellt wurde. Nachdem die deutsche Gesellschaft in Bezug auf das Darlehen bereits (Teil-)Rückzahlungen geleistet hatte, wurde über ihr Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet. Unter Verweis auf die Nachrangigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs focht der Insolvenzverwalter die bislang getätigten Rückzahlungen an und nahm die österreichische Gesellschafterin auf Rückgewähr in Anspruch.
So weit, so einfach, möchte man meinen. Denn nach der einschlägigen EU-Insolvenzverordnung richten sich das Insolvenzverfahren und dessen Wirkungen (also auch die Frage der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen) nach dem Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und damit vorliegend nach deutschem Recht. Und nach dem deutschen Insolvenzrecht sind die getätigten Darlehensrückzahlungen anfechtbar und zurückzugewähren (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Der vom Insolvenzverwalter geltend gemachte Anspruch scheint also zu bestehen.
Allerdings hält die EU-Insolvenzverordnung eine weitere Regelung bereit, wonach das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (vorliegend deutsches Recht) ausnahmsweise dann keine Anfechtbarkeit/Rückgewährpflicht von Zahlungen begründen kann, wenn diese Zahlungen dem Recht eines anderen Staates unterliegen und nach diesem Recht eine Anfechtbarkeit/Rückgewährpflicht nicht besteht. Und genau dies ist vorliegend der Fall, haben doch die Parteien das Gesellschafterdarlehen (und damit insbesondere den Rückzahlungsanspruch) dem österreichischen Recht unterstellt und käme nach dem österreichischen Insolvenzrecht eine Anfechtung/Rückgewähr der getätigten Darlehensrückzahlungen vorliegend nicht in Betracht.
So weit, so einfach, ist man abermals verleitet zu denken: Dann ist im vorliegenden Fall eben das österreichische Recht maßgeblich und besteht der vom Insolvenzverwalter geltend gemachte Rückgewähranspruch nicht.
Allerdings begegnet ein solches Ergebnis wiederum gewissen Bedenken: Die Anfechtbarkeit/Rückgewährpflicht, die sich unter dem deutschen Insolvenzrecht ergeben würde, findet ihre Grundlage im Nachrang von Rückzahlungsansprüchen aus Gesellschafterdarlehen. Da ein Gesellschafter Rückzahlungen auf ein gewährtes Darlehen bei Insolvenz der Gesellschaft erst nach Befriedigung der übrigen Gesellschaftsgläubiger erhalten soll, muss er Zahlungen zurückgewähren, die ihm zum Nachteil der übrigen Gesellschaftsgläubiger bereits vorher geleistet wurden. Die Anfechtbarkeit/Rückgewährpflicht ist also gewissermaßen eine Verlängerung des Nachrangs und dient dessen Durchsetzung. Es wäre dann jedoch mit einer gewissen Inkonsequenz verbunden, wenn nach der EU-Insolvenzverordnung zwar der Nachrang von Darlehensrückzahlungsansprüchen grundsätzlich erhalten bliebe (in Bezug auf den Rang von Forderungen bleibt es nämlich auch nach der EU-Insolvenzverordnung bei der Maßgeblichkeit des deutschen Rechts), entgegen dieses Nachrangs getätigte Zahlungen aber nicht angefochten werden könnten und nicht zurückgewährt werden müssten (wegen der insoweit bestehenden Maßgeblichkeit des österreichischen Rechts).
Und eben diese Inkonsequenz hat auch der BGH gesehen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) – unter anderem – (sinngemäß) die folgende Frage zur Auslegung der EU-Insolvenzverordnung vorgelegt:
Kann die Rechtsordnung eines anderen Staates als desjenigen der Verfahrenseröffnung auch dann zur Nicht-Anfechtbarkeit/Nicht-Rückgewähr empfangener Zahlungen führen, wenn eine Rückgewähr dazu dienen würde, einen nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung geltenden Forderungsnachrang durchzusetzen?
Ausblick
Wie der EuGH die an ihn gerichtete Vorlagefrage beantworten wird, darf mit Spannung erwartet werden. Sollte er nämlich der Einschätzung des BGH nicht folgen und es einer Person, die sich in Bezug auf empfangene Zahlungen dem Rückgewährverlangen eines Insolvenzverwalters ausgesetzt sieht, gestatten, sich hiergegen auch bei Nachrangigkeit der eigenen Forderungen durch Verweis auf die Maßgeblichkeit einer anderen Rechtsordnung zu erwehren, so wäre das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht in Bezug auf Gesellschafterdarlehen wohl empfindlich getroffen.
Darlehensgebende Gesellschafter wären fortan nämlich auch in rein nationalen Konstellationen dazu verleitet, den Darlehensvertrag durch Vereinbarung mit der Gesellschaft dem Recht eines Staates mit weniger strengem Insolvenzanfechtungsrecht (z.B. Österreich) zu unterwerfen. Auf diese Weise könnte die nach dem deutschen Insolvenzrecht vorgesehene Anfechtbarkeit/Rückgewährpflicht in Bezug auf empfangene Darlehensrückzahlungen umgangen werden und würde die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens – zum Nachteil der anderen Gesellschaftsgläubiger – deutlich attraktiver.
Ob es der EuGH soweit kommen lässt, bleibt abzuwarten.
Rechtsanwalt Simeon Martus LL.M. ist Teil der Praxisgruppe Corporate bei RITTERSHAUS und steht Ihnen zu allen Fragen rund um das Thema Gesellschafterdarlehen gerne zur Verfügung.
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