Blogbeitrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Tödtmann und Rechtsanwalt Julius Pieper
Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird deutlich, ob ein Aufsichtsrat seiner Kontrollfunktion wirklich gerecht wird. Rechtsprechung, Gesetzesänderungen und rasante technologische Entwicklungen wie die Künstliche Intelligenz (KI) erhöhen den Druck spürbar. Zeit für einen Überblick, worauf man als Aufsichtsratsmitglied jetzt besonders achten sollte.
Wenn die Krise kommt: Aufsichtsräte in der Pflicht
Sobald ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage gerät, ist schnelles Handeln gefragt. Das gilt vor allem in der Krise für den rechtzeitigen Insolvenzantrag. Verpasst der Vorstand den richtigen Zeitpunkt, droht eine persönliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung, mit straf- und zivilrechtlichen Folgen.
Neben der Geschäftsleitung steht hier sehr schnell auch der Aufsichtsrat im Fokus: in der Unternehmenskrise muss er die rechtzeitige Antragstellung laufend überwachen. Ignoriert die Geschäftsleitung die Krisensignale, entsteht die eigene Pflicht des Aufsichtsratsrats auf die nötigen Maßnahmen hinzuwirken. Im Ernstfall muss der Aufsichtsrat beim Vorstand also aktiv entweder auf die rechtzeitige Einleitung von Sanierungsmaßnahmen (z.B. nach dem StaRUG) oder, wenn es dafür zu spät ist, auf die Insolvenzantragstellung hinwirken. Verletzt der Aufsichtsrat seine Pflichten, führt das zur Haftung – und zwar mit dem Privatvermögen des Aufsichtsratsmitglieds.
Künstliche Intelligenz: Neue Chancen – neue Haftungsfallen
KI kann den Betrieb und die Führung eines Unternehmens revolutionieren; häufig gehen mit der Anwendung von KI aber ganz erhebliche rechtliche Risiken einher. Greift der Vorstand auf KI-gestützte Entscheidungen zurück, muss der Aufsichtsrat diese Prozesse nachvollziehen und kontrollieren. Das Problem dabei ist, dass viele KI-Systeme Black Boxes sind. Die Entscheidungsfindung im Einzelnen lässt sich oft nicht erklären. Doch genau diese verlangt die Rechtsprechung bei der Prüfung und Aufsicht über Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands vom Aufsichtsrat. Denn die vom Bundesgerichtshof geforderte Plausibilitätsprüfung setzt voraus, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat erklärt, warum er eine bestimmte Geschäftsführungsmaßnahme vorschlägt oder durchgeführt hat. Wer die technischen Abläufe nicht versteht, kann auch nichts kontrollieren. Wer sich bei der Entscheidungsfindung auf künstliche Intelligenz verlässt, geht das Risiko ein, für Fehler bei der Entscheidungsfindung mithilfe von KI persönlich zu haften.
Distressed M&A – Sorgfaltspflicht vor Schnäppchenjagd
Der Erwerb von Unternehmen, die in der Krise stecken, kann für den Käufer ein Schnäppchen sein. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der Käufer das Risiko eingeht, ein Unternehmen mit erheblichen Mängeln in der Unternehmensführung und Compliance-Defiziten zu kaufen. Wer hier böse Überraschungen vermeiden will, muss trotz des typischerweise hohen Zeitdrucks bei derartigen „Notverkäufen“ genau hinschauen. Den Aufsichtsrat trifft dabei die Pflicht sicherzustellen, dass der Vorstand durch eine sogenannte Due Diligence Prüfung alle Risiken sorgfältig ermittelt und auch dem Aufsichtsrat offenlegt. Das betrifft auch und gerade das Risiko des Erwerbers, sich erhebliche Compliance-Risiken dadurch einzukaufen, für Rechtsverstöße in der Vergangenheit geradestehen zu müssen. Mangelnde Sorgfalt des Vorstands kann sowohl für das Unternehmen, aber auch für den Aufsichtsrat, der seine Überwachungspflicht verletzt, teuer werden. Glyphosat lässt grüßen.
Geopolitik als Risikofaktor: Aufsichtsräte müssen global denken
Ukrainekrieg, Nahostkonflikt, Zölle in den USA, China und Europa – geopolitische Bedrohungen sind zu realen Unternehmensrisiken geworden. Nach § 91 Abs. 2 und 3 AktG müssen Aktiengesellschaften ein wirksames Risikomanagementsystem etablieren und der Aufsichtsrat muss dessen Funktion kontinuierlich prüfen. Lieferketten, Absatzmärkte, Wechselkursrisiken – all das muss laufend strukturiert bewertet werden. Wer hier versagt, kann sich im Haftungsfall nicht auf Unwissenheit berufen. Schaut der Aufsichtsrat hier nicht genau hin und lässt den Dingen ihren Lauf, riskiert jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied persönlich in die Haftung genommen zu werden.
Fazit: Amt mit Anspruch und Risiko
Aufsichtsräte sind heute mehr denn je in der Pflicht, aktiv, informiert und vorausschauend zu handeln. Insolvenzrecht, Künstliche Intelligenz, M&A, Georisken – die Themenvielfalt wächst ebenso wie die Haftungsrisiken. Für ehrenamtliche oder nebenberufliche Aufsichtsräte wird es immer schwerer, die komplexen Anforderungen an ihre Überwachungstätigkeit ohne laufende rechtliche Unterstützung zu erfüllen. Die Zeiten des „Ehrenamts mit Prestige“ sind vorbei. Wer im Aufsichtsrat sitzt, trägt echte Verantwortung und haftet mit seinem eigenen Vermögen.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Tödtmann und Rechtsanwalt Julius Pieper sind Teil der Praxisgruppe Corporate bei RITTERSHAUS und stehen Ihnen zu allen Fragen rund um das Thema Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern gerne zur Verfügung.
Prof. Dr. Ulrich Tödtmann Julius Pieper