Am 18.06.2025 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung beschlossen. Das Gesetzesvorhaben geht auf die letzte Legislaturperiode zurück und setzt den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD um.
Wesentlicher Ansatz des Gesetzesentwurfs ist, Wohnbauvorhaben außerhalb bauplanungsrechtlicher Festsetzungen erleichtert zuzulassen und so Zeit und Kosten zu sparen. Ob dieser Ansatz aufgeht, wird maßgeblich von der Bereitschaft der Gemeinden abhängen, solchen Wohnbauvorhaben zuzustimmen.
Kern des Gesetzesentwurfs ist der sog. „Wohnungsbauturbo“ gemäß § 246e Baugesetzbuch (BauGB), der weitreichende planungsrechtliche Abweichungen für Wohnbauvorhaben ermöglichen soll.
Erleichterungen für Wohnbauvorhaben sollen außerdem weitgehende Befreiungen von bauplanungsrechtlichen Festsetzungen (§ 31 Abs. 3 BauGB) sowie im unbeplanten Innenbereich Abweichungen vom Erfordernis des Einfügens (§ 34 Abs. 3b BauGB) bringen.
Wegen der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kommen diese planungsrechtlichen Erleichterungen indes nicht ohne maßgebliche Beteiligung der Gemeinden aus: Der neue § 36a BauGB stellt den Wohnungsbauturbo sowie Befreiungen nach § 31 Abs. 3 BauGB und Abweichungen nach § 34 Abs. 3b BauGB unter den Vorbehalt der gemeindlichen Zustimmung.
Im Übrigen bringt der Gesetzesentwurf neue bauplanerische Festsetzungsmöglichkeiten und verlängert die Verordnungsermächtigung zur Bestimmung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bis zum 31.12.2031 sowie die Regelungen zum Umwandlungsschutz in § 250 BauGB bis zum 31.12.2030.
Kern: Wohnungsbauturbo
Der neue Wohnungsbauturbo nach § 246e BauGB soll umfangreiche Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Vorschriften ermöglichen, insbesondere auch von den Festsetzungen eines Bebauungsplans. Die Regelung ist befristet bis zum 31.12.2030.
Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist – anders als bisherige bauplanungsrechtliche Erleichterungen für Wohnbauvorhaben – nicht auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt beschränkt. Der Wohnungsbauturbo gilt damit für alle Wohnbauvorhaben, unabhängig davon, ob die jeweilige Landesregierung ein Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt bestimmt hat.
Gegenstand der Abweichung können sein:
- die Errichtung Wohnzwecken dienender Gebäude,
- die Erweiterung, Änderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Gebäude, wenn hierdurch neue Wohnungen geschaffen oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird oder
- die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen zu Wohnzwecken.
Neben der gemeindlichen Zustimmung nach § 36a BauGB stehen Abweichungen nach § 246e BauGB unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen unter Würdigung nachbarlicher Interessen. Auf Wohnbauvorhaben im Außenbereich findet der Wohnungsbauturbo nur Anwendung, wenn das Vorhaben im räumlichen Zusammenhang mit einem bebauten Siedlungsbereich liegt.
Weitere planungsrechtliche Erleichterungen für Wohnbauvorhaben
Weitere planungsrechtliche Erleichterung für Wohnbauvorhaben sollen § 31 Abs. 3 BauGB und § 34 Abs. 3b BauGB bringen. § 31 Abs. 3 BauGB betrifft Gebiete mit Bebauungsplan („beplanter Bereich“), § 34 Abs. 3b BauGB bebaute Siedlungsgebiete ohne Bebauungsplan („unbeplanter Innenbereich“).
… im beplanten Bereich
Nach § 31 Abs. 3 BauGB kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden. Voraussetzung ist, dass die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die Gesetzesänderung soll insbesondere Umbauten und Aufstockungen im Bestand befördern.
Im Vergleich zur aktuellen Gesetzesfassung bringt § 31 Abs. 3 BauGB folgende Neuerungen:
- Die Geltung der Vorschrift ist unbefristet.
- Der Anwendungsbereich ist nicht auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt begrenzt.
- Befreiungen sind nicht mehr auf den Einzelfall beschränkt, sondern können für mehrere vergleichbare Fälle erteilt werden.
Da die Regelung nicht mehr nur für den Einzelfall gilt, dürfte es eine wohl unbeabsichtigte Konsequenz geben: In der Folge könnten die betroffenen Festsetzungen des Bebauungsplans oder auch der ganze Bebauungsplan funktionslos – und damit wirkungslos – werden. Nutznießer des § 31 Abs. 3 BauGB könnten dann weitere, aber auch andere als Wohnbauvorhaben sein, die ebenfalls nicht mehr an die jeweilige Festsetzung gebunden wären. Dies kann aber auch durchaus gewollte Folge mehrerer Befreiungen sein. Ob dieses Risiko in der Praxis zu einem Hemmnis wird, bleibt abzuwarten.
… im unbeplanten Innenbereich
Nach § 34 Abs. 3b BauGB kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen vom Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung abgewichen werden. Voraussetzung ist, dass:
- das Vorhaben der Errichtung eines Wohngebäudes dient,
- städtebaulich vertretbar ist
- und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist.
- 34 Abs. 3b BauGB führt im Ergebnis dazu, dass sich das Vorhaben hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des § 34 Abs. 1 BauGB (Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche) nicht mehr in die nähere Umgebung einfügen muss. Das bedeutet: Die Vorschrift lässt beispielsweise Nachverdichtungen in zweiter Reihe zu (Abweichung hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche), aber auch Wohnbauvorhaben in Gebieten, die von anderen Nutzungen geprägt sind (Abweichung hinsichtlich Art der baulichen Nutzung).
Gemeindliches Zustimmungserfordernis
Kehrseite der bauplanungsrechtlichen Erleichterungen ist das Zustimmungserfordernis nach § 36a BauGB. Das Zustimmungserfordernis gilt sowohl für den Wohnungsbauturbo nach § 246e BauGB als auch für Befreiungen nach § 31 Abs. 3 BauGB und Abweichungen nach § 34 Abs. 3b BauGB.
Im Gegensatz zum gemeindlichen Einvernehmen (§ 36 BauGB) kann die Gemeinde die Zustimmung auch aus anderen Gründen als Rechtsverstößen versagen. Als Versagungsgründe kommen deshalb insbesondere städtebauliche Gestaltungsvorstellungen in Frage. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Zustimmung besteht nicht, ebenso wenig kann die höhere Verwaltungsbehörde die Zustimmung ersetzen.
Neue Festsetzungsmöglichkeiten für Bebauungspläne
Mit § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB sieht der Gesetzesentwurf schließlich neue Festsetzungsmöglichkeiten in Bebauungsplänen für Immissionswerte und Immissionskontingente vor.
Emissionskontingente können nach bisheriger Rechtslage nur nach § 1 Abs. 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO) im Rahmen einer Gliederung des Baugebietes festgesetzt werden. Vor dem Hintergrund komplexer Vorgaben der Rechtsprechung sind für Planer und Gemeinden damit erhebliche Unsicherheiten verbunden. Die explizite Regelung der Emissionskontingente führt dagegen zu mehr Rechtsklarheit. Dies dürfte das Nebeneinander verschiedener Nutzungsarten, insbesondere von Gewerbe und Wohnen, erleichtern.
Die Fehlerfolgen einer unwirksamen Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB regelt der neue § 216a BauGB. Der Vorschrift liegt der Fall eines teilweise bereits vollzogenen Bebauungsplans mit heranrückender Wohnbebauung zugrunde. Der recht komplex geratene § 216a BauGB soll für diesen Fall eine einzelfallgerechte Lösung des Lärmkonflikts bieten und stellt emittierende Anlagenbetreiber von den wirtschaftlichen Risiken der Unwirksamkeit (zu Lasten der Gemeinde, des Vorhabenträgers, Eigentümers oder Nutzungsberechtigen) frei.
Fazit
Ob der Wohnungsbauturbo Beschleunigung oder doch nur Stillstand für den Wohnungsbau bedeutet, wird maßgeblich von der Bereitschaft der Gemeinden abhängen, die Zustimmung nach § 36a BauGB zu erteilen. Zumindest die rechtliche Möglichkeit, vereinfacht planungsrechtliche Hürden zu überwinden, wird mit dem Gesetz geschaffen. Da ein Anspruch auf Erteilung der Zustimmung nicht besteht und die Gemeinden ihre Zustimmung insbesondere auch aus Gründen der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung versagen können, könnte sich der „Turbo“ zur „lahmen Ente“ entwickeln. Dies gilt umso mehr als die Gemeinde nach wie vor die Folgekosten von Wohnbebauung zu einem großen Teil tragen wird und zudem ggfls. Risiken eingeht (Stichwort: „Funktionslosigkeit durch Befreiungen“).
Ein wesentlicher Faktor für die Anwendung dieser Normen dürfte daher die Möglichkeit der Gemeinden sein, ihre Zustimmung nur unter Bedingungen zu erteilen. Möglich wären etwa die Bedingungen, dass sich der Vorhabenträger dazu verpflichtet, eine Sozialwohnquote zu erfüllen oder sich an den Kosten für die Schaffung sozialer Infrastruktur zu beteiligen.
Für alle Fragen rund um den „Wohnungsbauturbo“ stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Daniel Pflüger und Rechtsanwalt Dr. Friedrich Schmitt gerne zur Verfügung.
Dr. Daniel Pflüger Dr. Friedrich Schmitt
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