Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich Vertreter der drei künftigen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD am 9. April 2025 auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Wir werfen ein Schlaglicht auf die geplanten Reformen, die im Hinblick auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht von Bedeutung sind. Auch hier wird das „Sofortprogramm für den Bürokratieabbau“ eine Rolle spielen.
Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz wird abgeschafft
Das viel kritisierte nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll abgeschafft und durch ein bürokratiearmes und vollzugsfreundliches „Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung“ ersetzt werden, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie umsetzen soll. Insbesondere die Berichtspflicht nach dem LkSG soll unmittelbar abgeschafft und komplett entfallen. Besondere Beachtung verdient dabei der Umstand, dass selbst die gegenwärtig geltenden gesetzlichen Sorgfaltspflichten bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes – mit Ausnahme von massiven Menschenrechtsverletzungen – nicht sanktioniert werden sollen. Auch die umfangreichen Vorgaben zum Inhalt der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung sollen insbesondere für die mittelständische Wirtschaft deutlich reduziert werden.
Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts
An prominenter Stelle verspricht der Koalitionsvertrag eine Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts. Erklärtes Ziel: die Stärkung der Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dass das Beschlussmängelrecht in gegenwärtiger Form einer Korrektur bedarf, wird seit längerem gefordert. Dezidiert war dieses Petitum bereits beim 72. Deutschen Juristentag im Jahr 2018 vorgetragen worden. Insoweit ist die Ankündigung der Neufassung erfreulich. Zugleich darf man angesichts der Vielzahl der bereits unterbreiteten Reformvorschläge mit Spannung erwarten, wie die Neugestaltung dieses, für die Praxis besonders wichtigen Bereichs des Aktienrechts, ausfallen wird und auf welche Weise man Missbrauchsmöglichkeiten im Rahmen des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts begegnen will.
Neue Rechtsform: Gesellschaft mit gebundenem Vermögen
Mit Spannung darf man auch die Initiative zur Einführung einer neuen Gesellschaftsform mit gebundenen Vermögen erwarten. Schon im Jahr 2020 stand ein Gesetzentwurf zur Umsetzung dieses Konzepts zur Diskussion, das im Jahr 2021 weiterentwickelt wurde und als Sonderform der GmbH unter „GmbH mit gebundenem Vermögen“ firmierte. Nach dem jüngsten Gesetzesentwurf zu dieser Thematik aus dem September 2024 soll das Konzept nun durch eine vollständig eigene Rechtsform umgesetzte werden. Kennzeichnend für die neue Rechtsform sollen „die unabänderliche Vermögensbindung und die Teilhabe nach mitgliedschaftlicher Logik ohne steuerliche Privilegierungen oder Diskriminierungen“ sein.
Neugestaltung des Genossenschaftsrechts
Weiterhin ist beabsichtigt, das Recht der Genossenschaften zu modernisieren. Dies hatte sich bereits die letzte Regierung mit dem Ziel vorgenommen, die Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften zu verbessern. Aufgrund der Regierungskrise kam der Regierungsentwurf für das „Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform“ vom 6. November 2024 allerdings nicht mehr zur Umsetzung. In welcher Hinsicht das Genossenschaftsrecht reformiert werden soll, lässt der Koalitionsvertrag offen. Unterstellt man, dass an dem jüngsten Regierungsentwurf angeknüpft wird, dürften vor allem die Förderung der Digitalisierung und eine Beschleunigung des Gründungsverfahrens im Fokus stehen.
Reform des AGB-Rechts im B2B-Bereich
Für große Kapitalgesellschaften im Sinne des § 267 Abs. 3 HGB könnte die Umsetzung des Koalitionsvertrags einen erfreulichen Zugewinn an Rechtsicherheit bringen. Nach geltender Rechtslage haben Gesellschaften bei der Vertragsgestaltung durch AGB im unternehmerischen Verkehr (B2B) erheblichen Spielraum, da die auf Verbraucherschutz ausgerichteten §§ 305 ff. BGB nur eingeschränkt gelten. Dieser Gestaltungsspielraum gilt freilich nicht grenzenlos: die Frage, welche Klauseln konkret zulässig sind und welche nicht, wurde in einer umfangreichen Rechtsprechung über Jahre hinweg entschieden. Es liegt auf der Hand, dass damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit einhergeht. Vor diesem Hintergrund wird der Status Quo seit langem kritisiert. Was im Einzelnen im AGB-Recht zur Stärkung der Rechtssicherheit geändert werden soll, lässt sich dem Koalitionsvertrag nicht entnehmen. Von Interesse ist insbesondere, ob die AGB-Inhaltskontrolle in diesen Rechtsverhältnissen künftig gänzlich entfallen wird. Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass jede Verbesserung zum Ist-Zustand einen Gewinn darstellt.
Neustrukturierung von Schriftformregelungen
Schließlich sollen auch die Formvorschriften der §§ 126 ff. BGB einer Revision unterzogen werden. Erklärtes Ziel ist die Vereinfachung und Anpassung der Vorschriften an die „neuen technischen Möglichkeiten“. Auch hier bleibt die Koalition konkrete Ausführungen schuldig, wie dieses Zeil erreicht werden soll. Grundsätzlich ist das Ansinnen das System der – häufig sperrigen – §§ 126 ff. BGB zu reformieren und im Sinne der „digitalen Souveränität“ weiterzuentwickeln aber begrüßenswert.
Novellierung des Außenwirtschaftsrechts
Ebenfalls angekündigt wird eine Überarbeitung des Außenwirtschafsgesetzes, die zu einer Beschleunigung von Prüfverfahren – insbesondere von Investitionsprüfverfahren führen soll. In diesem Kontext wird auch eine Neugestaltung der Ausfuhrgenehmigungsprozesse angekündigt. Naturgemäß bleiben Einzelheiten der praktischen Umsetzung vorbehalten, die wir mit Spannung erwarten können.
Der Koalitionsvertrag der künftigen Regierung enthält einige erfreuliche Reformbestrebungen im Bereich des Wirtschafts- und Gesellschaftsrechts. Wünschenswert wäre gewesen, an der ein oder anderen Stelle etwas ausführlicher darzustellen, auf welche Weise die ausgegebenen Ziele erreicht werden sollen. Enttäuscht wurden überdies all jene, die auf eine Stellungnahme zur Zukunft des Delistings und der unternehmerischen Mitbestimmung gehofft hatten. Zu diesen Themen enthält der Koalitionsvertrag keine Aussage. Inwieweit die angekündigten Reformen praxistauglich umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Bei Fragen stehen Ihnen Rechtsanwältin Dr. Claudia Pleßke und Rechtsanwalt Julius Pieper sowie das gesamte Team der Praxisgruppe Corporate gerne zur Verfügung.
Dr. Claudia Pleßke Julius Pieper
Rechtsanwältin, Partnerin Rechtsanwalt