Vermutlich hat es schon vielen Arbeitgebern und Personalleitern in den Fingern gejuckt, bei der Bewerberauswahl neben den übersandten Bewerbungsunterlagen auch weitere, frei verfügbare Informationen aus dem Internet, sozialen Medien oder sonstigen Quellen zu Rate zu ziehen. Solche Background-Checks oder Pre-Employment-Screenings könnten durch das Urteil des Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf vom 10.04.2024 (Az. 12 Sa 1007/23) künftig mit (unangenehmen) Informationspflichten für den Arbeitgeber verbunden sein. Der nachfolgende Beitrag soll Hinweise auf „Dos and Don’ts“ für die Praxis geben.
1. Hintergrund
Hintergrund der Entscheidung war die Bewerbung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht auf eine Stelle im Justiziariat einer Universität, sprich eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers. Im Rahmen einer Online-Recherche erfuhr die Universität, dass der Kläger erstinstanzlich wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung wegen des Vorwurfs fingierter Bewerbungen mit anschließender Diskriminierungsklage verurteilt worden war. Entsprechend erteilte die Universität dem Kläger eine Absage. Der Kläger forderte daraufhin die Universität auf, ihm die dem Auswahlverfahren zugrunde liegende Dokumentation auf Grundlage von Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zur Verfügung zu stellen. Nach anfänglichem Zögern überließ die Universität dem Kläger den teilweise geschwärzten Auswahlvermerk. Durch diesen Auswahlvermerk erfuhr der Kläger davon, dass die Universität im Rahmen des Bewerbungsverfahrens Online-Recherchen über ihn angestellt hatte.
2. Wenn Recherche, dann nur bei konkretem Anlass
In rechtlicher Hinsicht ist schon fraglich: Darf der Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens überhaupt zu Bewerbern recherchieren? Oder muss er sich auf die Informationen beschränken, die ihm der Bewerber zur Verfügung stellt? Entscheidend hierfür ist, ob der Arbeitgeber einen Anlass für die Recherche hat oder die Recherche anlasslos und pauschal, etwa zur reinen Befriedigung seiner Neugier, vornimmt.
Sofern kein konkreter Anlass für eine Recherche besteht, fällt ihre datenschutzrechtliche Rechtfertigung nicht so leicht. Teilweise wird die Recherche allgemein im Internet zugänglicher Informationen wegen berechtigter Interessen des Arbeitgebers für zulässig erachtet, soweit diese Informationen einen konkreten Bezug zur ausgeschriebenen Stelle haben und geeignet sind, eine konkrete Aussage über die Eignung des Bewerbers zu treffen. Dies soll auch für Einträge in den sozialen Medien gelten, etwa die Angaben über die beruflichen Stationen auf LinkedIn. Allerdings dürfte zumindest bei öffentlichen Arbeitgebern eine Rechtfertigung mit berechtigten Interessen nur erschwert möglich sein, weil die Regelung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 DSGVO für ihn nicht gilt.
Im entschiedenen Fall hatte der Personaldezernent der Universität sogar einen konkreten Anlass für seine Recherche: Denn über den Kläger existiert ein EuGH-Urteil, das seinen Namen trägt. Der Personaldezernent der Universität erinnerte sich beim Lesen der Bewerbung an das Urteil und nahm die Namensgleichheit zum Anlass, den Bewerber zu „googlen“. Der Personaldezernent stieß im Rahmen seiner Recherche auf einen Wikipedia-Artikel über den Bewerber und diverse diesen betreffende Gerichtsentscheidungen. Wenn ein solcher Anlass für die Recherche vorliegt, kann die Recherche und damit einhergehende Datenverarbeitung auf die Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen gestützt werden. Diese Rechtsgrundlage gilt auch für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber.
3. Wenn Recherche, dann Information
Neben der Frage, ob und wenn ja welche Rechtsgrundlage für die mit der Recherche verbundene Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Bewerbers genutzt werden kann, folgt aus dem Pre-Employment-Screening nach der Entscheidung des LAG Düsseldorf eine klare Informationspflicht: Der Arbeitgeber muss den Bewerber über die durchgeführte Recherche informieren. Deshalb reicht kein allgemeiner Hinweis über mögliche Recherchen oder die Nutzung weiterer Informationen in der Datenschutzerklärung oder der Stellenausschreibung. Vielmehr müssen die datenschutzrechtlichen Informationen so präzise und spezifisch gefasst sein, dass der Bewerber die Risiken abschätzen kann, die mit der Verarbeitung seiner Daten verbunden sein könnten.
In Anbetracht der LAG-Entscheidung müsste der Bewerber somit über sämtliche Ergebnisse der Recherche informiert werden, insbesondere, soweit diese in die Auswahlentscheidung eingeflossen sind. Dieser Pflicht zur Information über sämtliche Ergebnisse der Recherche war die Universität im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. Sie hatte den Bewerber im Rahmen des Bewerbungsgesprächs zwar über die bei der Recherche gefundenen Wikipedia-Artikel informiert und hierzu befragt. Das ebenfalls recherchierte nicht rechtskräftige Strafurteil gegen den Bewerber ließ die Universität dagegen unerwähnt. Dies bewertete das LAG als Verstoß gegen die Informationspflicht des Arbeitgebers. Das Gericht verurteilte die Universität aufgrund dieses Verstoßes zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von EUR 1.000,00.
Besondere Relevanz hat die Entscheidung zunächst für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber. Denn diese sind verpflichtet, die wesentlichen Auswahlerwägungen in Bewerbungsverfahren schriftlich festzuhalten. Erst durch diese besondere Dokumentationspflicht, die für den privaten Sektor nicht gilt, wird die erfolgte Recherche offensichtlich. Denn der abgelehnte Bewerber hat jederzeit die Möglichkeit, einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber der öffentlichen Stelle geltend zu machen und damit Auskunft auch über die erfolgte Recherche zu erlangen. Unterlassene Informationen über erfolgte Pre-Employment-Screenings dürften daher im öffentlichen Sektor sehr viel schneller zum Haftungsfall werden als bei privat-rechtlichen Arbeitgebern. Die Informationspflicht über erfolgte Recherchen gilt aber sowohl für öffentliche wie private Arbeitgeber gleichermaßen.
4. Tipps für die Praxis
- Nach Möglichkeit keine Hintergrundrecherchen über Bewerber. Stattdessen sollten sich die Personalverantwortlichen für die Auswahlentscheidung auf die Bewerbungsunterlagen und das Bewerbungsgespräch (unter Berücksichtigung der Grundsätze des zulässigen Fragerechts) beschränken und sich auf ihr „Bauchgefühl“ verlassen. Und natürlich sollte die Probezeit zum „besseren Kennenlernen“ mit der Option einer ggf. kurzfristigen Trennung genutzt werden.
- Wenn ausnahmsweise doch recherchiert wird: Nur bei konkretem Anlass und nur zu Inhalten, über die der Arbeitgeber ohne Risiko Auskunft geben kann (also keine Recherchen bei Tinder & Co.).
- Und im Übrigen gilt: Es besteht eine Pflicht zur Information des Bewerbers über die Recherche. Unterlässt der Arbeitgeber eine entsprechende Information, drohen Entschädigungen (im vorliegenden Urteil des LAG in Höhe von EUR 1.000,00). Allerdings sollte die Information auf das Rechercheergebnis (etwa unter Angabe der recherchierten Internetseite) beschränkt sein und im Übrigen das Rechercheergebnis nicht weiter kommentieren. Ein Einstellungsanspruch resultiert aus der fehlenden Information nicht.
Im Ergebnis sollten (insbesondere öffentlich-rechtliche) Arbeitgeber in Bewerbungsprozessen Informationen, die sie nicht vom Bewerber selbst erhalten haben, künftig nur mit Bedacht nutzen. Dies gilt in erster Linie für die Internetrecherche, aber wohl auch darüber hinaus für sonstige Informationsquellen, aus denen sich der Arbeitgeber über den Bewerber informieren möchte. Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Urteil auch in das Blickfeld „gerissener“ Bewerber rückt. Daher sollten Arbeitgeber (auch) in dieser Hinsicht zukünftig in Bewerbungsprozessen besondere Vorsicht walten lassen.
Die Revision zum BAG ist zugelassen, sodass dieser spannende und praxisnahe Fall womöglich noch höchstrichterlich entschieden werden wird.
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