In Notsituationen muss es bei der Auftragsvergabe sehr schnell gehen. In einem kürzlich vom OLG Rostock (Beschluss vom 09.12.2020 – 17 Verg 4/20) entschiedenen Fall hatte das Land Mecklenburg-Vorpommern ein Unternehmen direkt mit der Durchführung von anlasslosen Corona-Tests in Alten- und Pflegeheimen beauftragt. Mit anderen Unternehmen führte das Land keine Vertragsverhandlungen und holte auch keine anderweitigen Angebote ein. Eine Konkurrentin nahm an diesem Vorgehen Anstoß. Sie meinte, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV hätten nicht vorgelegen und eine Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb sei vergaberechtswidrig. Die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern teilte die Auffassung der Konkurrentin nicht und wies den Nachprüfungsantrag zurück. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV hätten vorgelegen und einer Beteiligung anderer Unternehmen hätte es nicht bedurft. Letzteres sah das OLG Rostock anders. Es erklärte den Vertrag für unwirksam.
1. Wesentlicher Entscheidungsinhalt
Zwar sah das OLG Rostock die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV als erfüllt an, sodass das Land berechtigt war, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu wählen. Anders als die Vergabekammer beanstandete das OLG aber, dass das Land nur mit dem letztlich beauftragten Unternehmen Verhandlungsgespräche geführt und Angebote anderer Unternehmen gar nicht eingeholt hatte.
Auch bei einer Direktvergabe ohne Teilnahmewettbewerb bleibe ein öffentlicher Auftraggeber an wettbewerbliche Grundsätze gebunden. Es bestehe eine Verpflichtung, „so viel Wettbewerb wie möglich zu eröffnen“. Selbst im Falle einer „Notvergabe“ müsse ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich mehrere Angebote einholen, um zumindest einen „Wettbewerb light“ zu eröffnen. Lediglich in Ausnahmefällen („Extremfall“) als „ultima ratio“ sei es zulässig, nur einen einzigen Marktteilnehmer anzusprechen und ihm den Auftrag per Direktvergabe zu erteilen. Der konkrete Fall hätte hingegen „Anlass und Möglichkeit“ geboten, auch die Konkurrentin zur Angebotsabgabe aufzufordern. Auf die krisenbedingte Personalauslastung könne sich das Land nicht berufen.
Bemerkenswert ist, dass der Verstoß nach Auffassung des OLG zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB führt. Das OLG positioniert sich damit zu der bislang unbeachtet gebliebenen Frage, ob § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch dann anwendbar ist, wenn zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Bekanntmachung vorliegen, der öffentliche Auftraggeber den nötigen Wettbewerb aber nicht hergestellt hat.
2. Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung des OLG Rostock unterstreicht, dass die Direktvergabe eines öffentlichen Auftrags ohne jeden Wettbewerb im Oberschwellenbereich auch in Eilsituationen die absolute Ausnahme ist. Verlässliche allgemeine Maßstäbe dafür, wann eine Direktvergabe ausnahmsweise zulässig ist, haben sich bislang nicht herausgebildet. Auftraggeber sind gut beraten, auch unter Zeitdruck ein einfaches und zweckmäßiges „Vergabeverfahren light“ aufzusetzen, das klug und praktikabel Wettbewerb unter Zeitdruck ermöglicht.
Für alle Fragen zum Vergaberecht oder rund um das Öffentliche Recht stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Michael Wenzel (michael.wenzel@rittershaus.net) und Rechtsanwalt Dr. Christoph Rung (christoph.rung@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.
Ankündigung: neue Rubrik – aktuelle Entscheidungen zum Vergaberecht
Zukünftig wird der RITTERSHAUS Blog im Rahmen dieser Rubrik aktuelle Entscheidungen zum Vergaberecht vorstellen. Die Autoren wollen auf ausgewählte praxisrelevante Entscheidungen der Vergabekammern und Gerichte aufmerksam machen, ihre Kernaussagen wiedergeben und die Entscheidungen in den vergaberechtlichen Kontext einordnen.