Es weht der „wind of change“ durch das altehrwürdige Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Was weit über 100 Jahre ausgeschlossen war, wird nun Wirklichkeit: Der Schadensersatzanspruch des Verbrauchers bei unlauterer Werbung, die nur auf fahrlässigem Handeln des werbenden Unternehmens beruht.
Bislang konnten Unternehmen wegen unlauterer Geschäftspraktiken gegenüber dem Verbraucher nur dann in Haftung genommen werden, wenn nicht ausnahmsweise ein solcher Schadenersatzanspruch auf vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) gestützt wurde. Ausschließlich den Mitbewerbern des Unternehmens war es möglich, einen Schaden auch bei nur fahrlässigem Handeln des werbenden Unternehmers geltend zu machen.
Unternehmen müssen sich nun allerdings darauf einstellen, dass sich mit Wirkung zum 28. Mai 2022 auch Verbraucher auf den neu geschaffenen „individuellen Schadenersatzanspruch“ aus § 9 Abs. 2 UWG berufen. Wird der Verbraucher beispielsweise wegen einer sehr günstig beworbenen Ware in das Verkaufsgeschäft des Unternehmens gelockt und ist diese Ware dort nicht mehr verfügbar, weil das Unternehmen nicht für eine ausreichende Bevorratung gesorgt hat, kann der Verbraucher nunmehr seinen vergeblichen Aufwand für die Fahrt zur Verkaufsstelle geltend machen. Oder hatte der Händler den Verkauf eines Dieselfahrzeugs mit der besonderen Sauberkeit des Abgasverhaltens beworben und stellt sich Letzteres als nicht gegeben heraus, könnte dem Verbraucher hieraus jetzt ein auf eine fahrlässige unlautere geschäftliche Handlung gestützter Schadenersatzanspruch neben sonstigen Gewährleistungsansprüchen zur Verfügung stehen.
Anlass für diese Gesetzesänderung war eine europäische Richtlinie aus dem Jahr 2019, die sogenannte „Omnibus-Richtlinie“ . Damit sollten die Verbraucherrechte EU-weit gestärkt werden, dies insbesondere im Bereich des Online-Handels. Durch den neuen individuellen Schadenersatzanspruch des Verbrauchers nach UWG soll die freie informierte Entscheidung des Verbrauchers als „Rechtsgut“ verankert werden.
Was sind nun die Voraussetzungen dieses neuen Schadenersatzanspruchs des Verbrauchers?
- Es muss – zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens – eine unzulässige geschäftliche Handlung gegenüber dem Verbraucher vorliegen, typischerweise in Form einer Irreführung, einer Vorenthaltung von Informationen oder einer aggressiven Werbung.
- Durch diese unzulässige geschäftliche Handlung des Unternehmens muss der Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden. Diese kann in dem Abschluss eines Vertrages, einer Vertragsverlängerung oder gerade im Unterlassen solcher Handlungen liegen, weiter in einer Kündigung eines Vertrages mit einem Dritten, in der Nichtgeltendmachung vertraglicher Rechte, in der Preisgabe von persönlichen Daten oder in der Vornahme von Zahlungen ohne Rechtsgrund. Es genügt schon jede „unmittelbar mit der unzulässigen geschäftlichen Handlung zusammenhängende Entscheidung“ des Verbrauchers, wie beispielsweise das Betreten eines Geschäftslokals
- Die unzulässige geschäftliche Handlung des Unternehmens muss für die geschäftliche Entscheidung adäquat kausal gewesen sein. Eine reine Mitursächlichkeit reicht nicht aus. Die konkrete geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers müsste also entfallen, wenn man die Verletzungshandlung des Unternehmens hinwegdenken würde
- Durch die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers muss diesem ein Schaden entstanden sein.
Gerade hierbei sind die Anforderungen des Schadensersatzanspruchs des Verbrauchers erheblich niedriger als bei dem des Mitbewerbers gegen das Unternehmen. Dort war ein entgangener Gewinn durch unlauteren Wettbewerb regelmäßig kaum bezifferbar. Der Verbraucher kann sich hingegen jetzt darauf berufen, dass sein Schaden bereits in der fehlerhaften Verbraucherentscheidung selbst liegt. Evident ist der Schaden auch bei einer vom Verbraucher aufgrund der unzulässigen geschäftlichen Handlung des Unternehmers erbrachten Zahlung an diesen oder bei einer Nichtausübung ihm zustehender vertraglicher Rechte. Ebenso kann der Verbraucher Rechtsverfolgungskosten als adäquat kausalen Schaden ersetzt verlangen; dies allerdings nur dann, wenn die sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher oder sonstiger professioneller Hilfe erforderlich und zweckmäßig gewesen ist, was wegen der niedrigen Schadenshöhe häufiger nicht der Fall sein wird.
Anrechnen lassen muss sich der Verbraucher, wie auch sonst im Schadenersatzrecht, diejenigen Vorteile, die in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis ihm zugeflossen sind. In den „Dieselfällen“ zählen hierzu die ihm durch die Nutzung des Fahrzeugs zugeflossenen Nutzungsvorteile. Dabei muss die Anrechnung allerdings dem Verbraucher zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unangemessen entlasten.
Hingegen kann der Verbraucher nicht solche Schäden ersetzt verlangen, die sich nicht als Folge der Einwirkung auf die Entscheidungsfindung darstellen, wie beispielsweise Körper-, Gesundheits- und Eigentumsschäden. Gleiches dürfte auch für entgangene Geschäfte gelten, die im Anschluss an den geplanten, durch Irreführung aber gescheiterten Erwerb der nicht bevorrateten Ausgangsware entstanden sind. Ein solcher Schadenersatz gehört nicht mehr zum Schutzzweck der Schadenersatznorm des § 9 Abs. 2 UWG.
Auch bei sogenannten immateriellen Schäden, wie vertaner Freizeit, dürfte es an einer Ersatzfähigkeit des Schadens mangeln.
Die nähere Ausformung dessen, was sich als ersatzfähig erweist, bleibt freilich den Gerichten vorbehalten
- Das Unternehmen muss vorsätzlich oder zumindest fahrlässig die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers herbeigeführt haben. Ein entsprechender Nachweis dürfte für den Verbraucher regelmäßig kein Problem sein, da im Recht des unlauteren Wettbewerbs schon derjenige fahrlässig handelt, der sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss.
Was sich als Bedrohung für die Unternehmen und als weit geöffnetes Tor für die Verbraucherrechte darstellt, dürfte sich zu einem guten Teil allerdings dadurch relativieren, dass den Verbraucher im Grundsatz die Darlegungs- und Beweislast für die unlautere geschäftliche Handlung des Unternehmens und deren Ursächlichkeit für seine geschäftliche Entscheidung sowie den daraus resultierenden Schaden trifft. Die Rechtsprechung hat hierbei allerdings bereits in ähnlichen Fallkonstellationen, insbesondere bei der Erbringung von Beratungsleistungen, diesen mit Kausalitätsvermutungen geholfen, die dazu führen, dass dem Unternehmen die sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ auferlegt wird. Greifen die Vermutungen, dann trifft den Unternehmer die Verpflichtung darzulegen und zu beweisen, dass die Vermutung im konkreten Fall nicht eingreift.
Ausblick:
Ob der Schadenersatzanspruch des Verbrauchers auch in der Praxis ein „scharfes Schwert“ werden wird, bleibt abzuwarten. In vielen Fällen werden die Schäden sehr geringfügig sein, so dass der Verbraucher angesichts des damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwands und des Prozessrisikos häufig an prozessualer Durchsetzung nicht sehr interessiert sein wird. Es könnte sich ein „rationales Desinteresse“ durchsetzen. Diese bislang eher zurückhaltende Einschätzung könnte sich aber nach der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie ändern. Eine Vielzahl von Streitigkeiten ist jedenfalls dann zu erwarten, wenn größere Summen auf dem Spiel stehen und im Wege der Verbandsklage („Sammelklage“) geltend gemacht werden. Die Umsetzung der entsprechenden Richtlinien in deutsches Recht muss bis zum 25. Dezember 2022 erfolgt sein.
In jedem Fall empfiehlt es sich aber für die Unternehmen, noch stärker auf eine lauterkeitsrechtlich unbedenkliche Werbung zu fokussieren.
Zu allen Fragen aus dem Bereich der unlauteren Werbung sprechen Sie gerne wolf-henrik.friedrich@ritterhaus.net an.