Als im Frühjahr 2020 die erste Coronawelle durch Deutschland rollte und zahlreiche Geschäfte zur Vermeidung der Ausbreitung des Virus geschlossen werden mussten, türmte sich für die Gerichte des Landes eine noch ganz andere Welle auf: In dutzenden Verfahren wurden plötzlich Ansprüche aus sogenannten Betriebsschließungsversicherungen geltend gemacht, deren Existenz erst durch die Coronapandemie ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gespült wurde.
Betriebsschließungsversicherungen dienen der Absicherung einzelner Betriebe, sollten diese durch behördliche Anordnung auf Grundlage des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (kurz „IfSG“) geschlossen werden, weil beispielsweise mehrere Beschäftigte in einem Restaurant sich zeitgleich mit Masern infiziert haben. Eine flächendeckende Schließung von Geschäften im ganzen Land, wie in der Coronapandemie geschehen, hatten hingegen zum Zeitpunkt des Abschlusses älterer Policen weder Versicherungsunternehmen noch Versicherungsnehmer im Blick. Entsprechend sträubten und sträuben sich die Versicherungen, Zahlungen aus den mit ihnen geschlossenen Betriebsschließungsversicherungen zu leisten.
Zu Beginn der Pandemie in Deutschland, als die Rechtslage weniger klar war, wurden vielen Versicherungsnehmern, die einen Anspruch geltend gemacht hatten, noch niedrig bemessene Pauschalbeträge zur Abgeltung aller Ansprüche angeboten. Inzwischen dürften die meisten Versicherungen aber auch diese Praxis eingestellt haben, denn in der Rechtsprechung der Landgerichte und Oberlandesgerichte ist eine Tendenz zugunsten der Versicherungsunternehmen zu erkennen. Der BGH war bisher noch nicht mit einem solchen Fall befasst, doch dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Karlsruhe sich äußert.
Entscheidend für den Erfolg der Klage eines Versicherungsnehmers ist dabei vor allem, wie die Allgemeinen Versicherungsbedingungen („AVB“), die dem jeweiligen Betriebsschließungsversicherungsvertrag zugrunde liegen, konkret gefasst sind. Hier gibt es insbesondere zwei potentielle Stolpersteine:
Stolperstein I: Flächendeckende Betriebsschließungen
Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Versicherungsverträge die massenhaften Schließungen überhaupt erfassen bzw. ob sie auf andere als intrinsische Gefahren (also solche Krankheiten und Erreger, die von einem einzelnen Betrieb ausgehen) überhaupt anwendbar sind.
Die Formulierung über den Umfang des Versicherungsschutzes wie sie in – soweit ersichtlich – allen bisher zur richterlichen Entscheidung stehenden AVB verwendet wurde, lautet (gekürzt):
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde auf Grund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten schließt.“
Die Rechtsprechung ist bereits hier nicht einheitlich, doch sehen die meisten Gerichte auch flächendeckende Schließungen als von dieser Klausel umfasst an.
Stolperstein II: Abschließende Aufzählung der erfassten Krankheiten
Deutlich mehr Probleme bereiten dürfte die in allen AVB enthaltene Klausel, dass nur Schließungen auf Grund bestimmter Krankheiten und Krankheitserreger einen Entschädigungsanspruch wegen Betriebsschließung nach sich ziehen können. In den meisten AVB-Klauseln findet sich ein Katalog der Krankheiten und Krankheitserreger, die, so sie denn eine Betriebsschließung verursachen, den Versicherungsschutz eröffnen. Die „Coronavirus-Krankheit 2019“ bzw. „SARS-CoV-2“ sind – wenig überraschend, stammen die AVB doch aus einer Zeit, als „Corona“ nur als Biermarke bekannt war – in diesen „Katalogklauseln“ in aller Regel nicht aufgeführt.
Die gebräuchlichste Katalogklausel bezieht „die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ in den Versicherungsschutz ein, wobei die jeweiligen Krankheiten und Krankheitserreger darunter im Einzelnen aufgelistet werden.
Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung sieht so formulierte Verweise auf einen enumerativen Katalog als abschließend an mit der Konsequenz, dass nur die ausdrücklich genannten Krankheiten und Erreger den Versicherungsschutz auslösen. Dies wird insbesondere an der Verwendung des Begriffs „die folgenden“ festgemacht. Eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag für Betriebsschließungen ist folglich nach der Rechtsprechung fast aller Oberlandesgerichte ausgeschlossen, wenn die Coronavirus-Krankheit 2019 oder SARS-CoV-2 in dem abschließenden Katalog nicht genannt sind.
Teilweise sind aber auch Klauseln in Verwendung, die keine Auflistung von Krankheiten und Krankheitserregern enthalten, sondern stattdessen nur auf die §§ 6 und 7 IfSG verweisen. In einem solchen Fall handelt es sich um einen sogenannten dynamischen Verweis, der sich auf alle in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Erreger, darüber hinaus aber auch auf die durch die dortigen Generalklauseln abgedeckten Sachverhalte, wie Infektionen mit epidemischem Zusammenhang und Krankheitserregern mit Gefahren für die Allgemeinheit, erstreckt.
Es spricht bereits vieles dafür, dass die Coronavirus-Krankheit 2019 bzw. der Erreger SARS-CoV-2 schon kurz nach ihrem ersten Auftreten in Deutschland von den Generalklauseln der §§ 6, 7 IfSG umfasst wurden, sodass AVB mit dynamischen Verweis auf das IfSG Betriebsschließungen auf Grund der Coronapandemie von Anfang an dem Versicherungsschutz unterstellen haben. Spätestens besteht Versicherungsschutz bei Vorliegen dynamischer Klauseln ab dem 23. Mai 2020, da die Coronavirus-Krankheit 2019 und der Erreger SARS-CoV-2 seit diesem Tag im Katalog der §§ 6, 7 IfSG explizit genannt sind. Wer eine Versicherungspolice mit dynamischem Verweis auf §§ 6, 7 IfSG hat, kann sich also bessere Chancen ausrechnen.
Ausblick
Obwohl die Rechtsprechung inzwischen eine klare Richtung vorgibt, wann Unternehmen einen Anspruch auf Leistung ihrer Betriebsschließungsversicherung wegen Corona haben, bleibt es spannend: Das OLG Karlsruhe ist in einem Urteil vom 30. Juni 2021 (Az. 12 U 4/21) aus dem Reigen der bisherigen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung ausgebrochen und hat eine Katalogklausel (ohne dynamischen Verweis) als intransparent und unwirksam eingestuft. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, hätten etliche Unternehmen plötzlich wieder Chancen, Erstattungen aus ihrer Betriebsschließungsversicherung geltend machen zu können.
Da das OLG Karlsruhe die Revision zum BGH zugelassen hat, ist es letztlich an Karlsruhe, eine abschließende Entscheidung zu treffen.
Über das Ergebnis der BGH-Entscheidung wird Sie Rechtsanwältin Lisa Zeman auf diesem Blog informiert halten. Für weitere Fragen zu diesem Thema steht sie Ihnen jederzeit unter lisa.zeman@rittershaus.net zur Verfügung.