Im Frühjahr standen die turnusmäßigen Betriebsratswahlen 2022 an. Die neuen Betriebsräte sind gebildet und haben nun eine Wahlperiode von vier Jahren Zeit, ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben zu erfüllen. Besondere Herausforderung bilden dabei in der modernen Arbeitswelt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Matrixstrukturen, also in mehrdimensionalen Organisationsstrukturen, in denen die betriebswirtschaftliche von der rechtlichen Organisation im Unternehmen oder Konzern abweicht.
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit einer solchen Fragestellung in der Entscheidung vom 4. Juni 2022 (1 ABR 13/21) zu beschäftigen und die Rechtsbeschwerde eines Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Mai 2021 (2 TaBV 51/20) zurückgewiesen.
Um was ging es? Ein privates Eisenbahnverkehrsunternehmen mit mehreren Betrieben in Deutschland hat u.a. einen Betrieb in Niedersachsen und einen Betrieb in Nordrhein-Westfalen. In dem Betrieb in Niedersachsen am Sitz der Gesellschaft war eine Mitarbeiterin als Vorgesetzte zunächst in der Funktion „Leiterin Langfristdisposition“ als unmittelbare Vorgesetzte aller Langfristdisponenten tätig. Nach Beteiligung des Betriebsrats am Firmensitz in Niedersachsen, aber ohne Einbeziehung des Betriebsrats in Nordrhein-Westfalen ist diese Mitarbeiterin in die Funktion „Leiterin Betriebsmanagement“ am Sitz der Gesellschaft in Niedersachsen versetzt worden. Sie hat in dieser Funktion die fachliche Vorgesetztenstellung auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betriebs in Nordrhein-Westfalen, nicht aber das disziplinarische Weisungsrecht.
Der Betriebsrat in Nordrhein-Westfalen machte sein Mitbestimmungsrecht bei dieser Versetzung geltend und bemängelt, nicht beteiligt worden zu sein. Er beantragte beim Arbeitsgericht in Osnabrück, der Arbeitgeberseite aufzugeben, die Versetzung aufzuheben. Die Arbeitnehmerin sei als fachliche Vorgesetze in die betrieblichen Abläufe des Betriebs in Nordrhein-Westfalen eingegliedert, auch wenn ihr Dienstsitz in Niedersachsen sei. Von daher sei der Betriebsrat in Nordrhein-Westfalen (ebenfalls) zuständig.
Das Arbeitsgericht Osnabrück hat den Antrag mit Beschluss vom 12. August 2020 (2 BV 3/20) zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Betriebsrats wurde mit Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 19. Mai 2021 (2 TaBV 51/20) zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.
Das LAG Niedersachen führt zwar zunächst aus, dass die für das Mitbestimmungsrecht erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation nicht erfordere, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet; entscheidend sei vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt.
Für die organisatorische Einbindung in den Betrieb in Nordrhein-Westfalen reiche es – so das LAG – aber nicht aus, dass die Arbeitnehmerin als betriebsfremde Mitarbeiterin (sie gehört räumlich nach wie vor dem Betrieb in Niedersachsen an) über die Abteilungsleiter des Betriebs in Nordrhein-Westfalen das fachliche Weisungsrecht ausübt.
Das LAG wörtlich: „Das fachliche Weisungsrecht betrifft die Art und Weise der Erfüllung vertraglicher Aufgaben. Im Unterschied dazu bezieht sich das disziplinarische Weisungsrecht insbesondere auf Zeit und Ort der Aufgabenerfüllung, die Durchführung personeller Einzelmaßnahmen sowie auf Abmahnungen und Kündigungen, aber auch auf die Einhaltung der im Unternehmen gültigen Umgangs- und betrieblichen Verhaltensnormen, die Beurteilung von Mitarbeitern, das Führen von Mitarbeitergesprächen, die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen und die Verhängung von Sanktionen bei Nichteinhaltung betrieblicher Verhaltensnormen.“
Das Mitbestimmungsrecht scheiterte letztlich daran, dass der Arbeitnehmerin keine disziplinarischen Befugnisse gegenüber der Belegschaft oder Teilen der Belegschaft in Nordrhein-Westfalen verliehen wurden. Ohne Einräumung von nicht unerheblichen disziplinarischen Weisungsbefugnissen – so das LAG – kann keine Eingliederung bejaht werden.
Die Entscheidung enthält somit wichtige Hinweise für Arbeitgeber über Inhalt und Reichweite der betrieblichen Mitbestimmung bei betriebsübergreifenden Versetzungen von Vorgesetzten in Matrixstrukturen und liefert wertvolle Hinweise für die gestaltende Beratung.
Zum Autor:
Dr. Andreas Notz steht Ihnen bei Fragen rund um das Thema Betriebsverfassungsrecht und Arbeitsrecht gerne zur Verfügung.