Aufgrund der Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) haben die Bundesländer in den letzten Wochen eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die zu extremen Einschränkungen des privaten und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland geführt haben und die noch vor wenigen Wochen unvorstellbar waren. Insbesondere das Verbot von Versammlungen mit mehr als zwei Teilnehmern sowie das Gebot eines Mindestabstandes von 1,5 Metern zwischen einzelnen Personen macht es derzeit vielen Gesellschaften verschiedenster Rechtsformen unmöglich, Gesellschafterversammlungen und Gremiensitzungen wie gewohnt abzuhalten. Die aktuelle Gesetzeslage schreibt – vorbehaltlich einer abweichenden Satzungsregelung oder der Zustimmung sämtlicher Beteiligter – üblicherweise eine Präsenzveranstaltung mit einem Teilnahmerecht des Gesellschafters bzw. Gremienmitgliedes vor. Dies hat durchaus gravierende Auswirkungen. So können grundsätzlich ohne Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung keine Ausschüttungen vorgenommen werden. Darüber hinaus ist es für Unternehmen gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten häufig von existenzieller Bedeutung, besondere Maßnahmen, wie etwa Umstrukturierungen oder Kapitalmaßnahmen, schnell umzusetzen.
Zur Lösung dieser Probleme plant die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Abmilderung der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht eine Reihe von Erleichterungen in diesem Bereich. Die nachfolgende Darstellung beruht dabei auf dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2020. Das Gesetz soll im Laufe dieser Woche abschließend vom Bundestag und Bundesrat beraten und verabschiedet werden, wobei nicht auszuschließen ist, dass im Gesetzgebungsverfahren noch verschiedene Änderungen am aktuellen Entwurf vorgenommen werden. Für den Bereich der vorgeschlagenen gesellschaftsrechtlichen Regelungen erwarten wir aber keine substantiellen Änderungen mehr.
Aktiengesellschaft
Hauptversammlung
§ 118 AktG erlaubt dem Vorstand bereits heute, die Hauptversammlung per Video zu übertragen und Aktionären zu gestatten, an der Versammlung „virtuell“ teilzunehmen, sofern die Satzung der Gesellschaft dies vorsieht. Dieser Satzungsvorbehalt soll nun wegfallen, so dass der Vorstand für diese Maßnahmen keine spezielle Ermächtigung mehr benötigt. Der Gesetzentwurf geht aber sogar noch einen Schritt weiter und erlaubt es dem Vorstand, die Hauptversammlung komplett „virtuell“ auszugestalten, also das Recht der Aktionäre auf physische Teilnahme vollständig auszuschließen.
Hierzu muss die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung sichergestellt werden, wobei nach der Gesetzesbegründung nicht erforderlich sein soll, dass die Übertragung technisch ungestört abläuft und insbesondere bei jedem Aktionär ankommt. Daneben müssen die Aktionäre die Möglichkeit haben, jeweils elektronisch ihr Stimmrecht auszuüben, Fragen zu stellen und gegen einen Beschluss Widerspruch zu Protokoll (auch des Notars) zu erklären. Hier wird interessant sein, wie schnell und zu welchen Preisen die Dienstleister für die Durchführung von Hauptversammlungen in der Lage sind, die entsprechende Technik zur Verfügung zu stellen.
Frage- und Anfechtungsrecht
Bislang waren Aktiengesellschaften eher zögerlich, die „virtuelle“ Teilnahme von Aktionären an der Hauptversammlung zuzulassen. Ein wesentlicher Grund dafür war die Befürchtung, dass gerade querulatorische Aktionäre den Vorstand per E-Mail mit einer Flut von Fragen, einschließlich entweder nicht sachdienlicher oder sogar unzulässiger Fragen, bombardieren könnten, um Anfechtungsgründe zu kreieren oder die Versammlung platzen zu lassen. Um das zu verhindern, stärkt der neue Gesetzentwurf die Rechte des Vorstandes, indem dem Aktionär kein Recht auf Beantwortung seiner konkreten Fragen zusteht. Vielmehr entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet. Der Vorstand kann darüber hinaus auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Dadurch können bestimmte Fragenkomplexe zusammengefasst oder vorab auf der Webseite der Gesellschaft in Form einer FAQ-Liste beantwortet werden. Dem Risiko einer Flut von Anfechtungsklagen begegnet der Gesetzentwurf mit einer drastischen Einschränkung des Anfechtungsrechts. Danach können Anfechtungsklagen mit Ausnahme vorsätzlichen Handelns der Gesellschaft nicht auf eine Verletzung der Regelungen zur elektronischen Teilnahme an der Hauptversammlung gestützt werden.
Fristen
Um die Einberufung und Vorbereitung der Hauptversammlung flexibler zu gestalten, darf der Vorstand zukünftig die Fristen für die Einberufung der Hauptversammlung, der Mitteilung an Kreditinstitute und Aktionärsvereinigungen sowie der Einreichung von Ergänzungsverlangen zur Tagesordnung erheblich verkürzen und zwar auf 21, 12 bzw. 14 Tage vor der Versammlung. Abweichende Satzungsbestimmungen sind insoweit unbeachtlich.
Gleichzeitig wird die Frist zur Durchführung der ordentlichen Hauptversammlung verlängert. Aktiengesellschaften haben hierfür zukünftig abweichend von § 175 Abs.1 S.2 AktG nicht mehr nur acht Monate, sondern das gesamte Geschäftsjahr Zeit.
Zulässigkeit von Vorabausschüttungen
Schließlich wird die Zulässigkeit von Vorabausschüttungen bei der Aktiengesellschaft erweitert. Der Vorstand darf zukünftig auch ohne entsprechende Satzungsermächtigung nach Ablauf des Geschäftsjahres lediglich auf Basis eines vorläufigen Jahresabschlusses einen Abschlag auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn der Gesellschaft an die Aktionäre zahlen. Die Beschränkungen der Höhe dieser Abschlagszahlungen gem. § 59 Abs.2 AktG bestehen allerdings weiterhin.
Aufsichtsratszustimmung
Sämtliche vorgenannten Entscheidungen des Vorstandes bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrates, wobei auch hier in Abweichung von § 108 Abs. 4 AktG, ungeachtet eventueller abweichender Regelungen in der Satzung oder der Geschäftsordnung, die Beschlussfassung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder in schriftlicher, fernmündlicher oder vergleichbarer Weise zulässig ist, selbst wenn nicht alle Aufsichtsratsmitglieder diesem Verfahren zustimmen.
KGaA; SE
Die vorstehenden Regelungen gelten im Wesentlichen, mit den entsprechenden rechtsformbedingten Ausnahmen bzw. Anpassungen auch für Gesellschaften in der Rechtsform der KGaA und SE. Bei der SE ist dabei allerdings zu beachten, dass die Hauptversammlung gemäß Art.54 Abs.1 S.1 der SE-VO zwingend innerhalb der ersten 6 Monate des Geschäftsjahres (im Regelfall also bis zum 30. Juni 2020) stattzufinden hat. Diese Frist konnte der deutsche Gesetzgeber mangels Regelungskompetenz nicht verlängern.
Geltungsdauer
Die vorgenannten Erleichterungen gelten zunächst bis zum 31. Dezember 2020, wobei das Bundesjustizministerium die Geltung maximal bis zum 31. Dezember 2021 verlängern kann, sofern dies aufgrund fortbestehender Auswirkung der COVID-19-Pandemie geboten erscheint.
GmbH
Auch bei der GmbH werden Gesellschafterbeschlüsse außerhalb physischer Gesellschafterversammlungen künftig erleichtert. Beschlüsse dürfen entgegen § 48 Abs. 2 GmbHG auch dann schriftlich oder in Textform gefasst werden, wenn sich nicht alle Gesellschafter mit diesem Verfahren einverstanden erklären.
Umwandlungsrecht
Schließlich will der Gesetzgeber auch Umwandlungen durch eine Fristverlängerung erleichtern. Während bislang die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers am Tag der Anmeldung zum Handelsregister höchstens acht Monate alt sein durfte, wird diese Frist jetzt auf zwölf Monate verlängert. Damit sollen die Regelungen zur Erleichterung der virtuellen Gesellschafterversammlungen ergänzt werden, da man befürchtet, dass es aufgrund des technischen Aufwandes bei der Vorbereitung derartiger Versammlungen zu Verzögerungen kommen kann, welche die Einhaltung der Achtmonatsfrist in manchen Fällen unmöglich macht.
Fazit
Insgesamt bringt der Gesetzentwurf, ausgelöst durch die aktuelle Corona-Krise, eine Reihe von sinnvollen Erleichterungen für die Organisation und Durchführung von Gesellschafterversammlungen. Insbesondere im Rahmen der „virtuellen“ Hauptversammlung ergeben sich insoweit interessante Gestaltungsvarianten für den Vorstand. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Organisatoren von Hauptversammlungen in der Lage sind, die für eine Nutzung dieser Möglichkeiten notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Sofern dies gelingt, könnte diese Krisengesetzgebung der Einstieg in eine weitere Modernisierung des Aktienrechts sein.
Rechtsanwalt und Partner Dr. Markus Bauer ist Mitglied der RITTERSHAUS Corona-Task-Force und steht Ihnen rund um das Thema Gesellschaftsrecht jederzeit unter markus.bauer@rittershaus.net zur Verfügung.
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