Auftraggeber erhalten oft Angebote, die formale Mängel aufweisen, etwa weil der Bieter ein Formblatt nicht vollständig ausgefüllt hat. Müssten solche Angebote stets vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, entgingen den Auftraggebern viele wirtschaftlich gute Angebote. Um dies zu verhindern besteht die Möglichkeit, fehlende, unvollständige und fehlerhafte Unterlagen nachzufordern.
Das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.04.2020 – VII-Verg 30/19) hat nun entschieden, dass ein Auftraggeber trotz einer (formal betrachtet) eindeutigen Erklärung des Bieters berechtigt sein kann, Unterlagen nachzufordern. In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte der Auftraggeber Kanalbauarbeiten nach der EU VOB/A ausgeschrieben. Bieter, die beabsichtigten, Nachunternehmer einzusetzen, sollten ein Formblatt zum Nachunternehmereinsatz ausfüllen. Darauf hieß es einleitend: „Ich / Wir werde(n) die Leistungen im eigenen Betrieb ausführen, soweit nicht nachfolgend anders angegeben.“ Die Zuschlagsprätendentin hatte die Nachunternehmererklärung nicht ausgefüllt, in einem Aufklärungsgespräch nach Ablauf der Angebotsfrist jedoch erklärt, Nachunternehmer einzusetzen. Die Nachunternehmererklärung reichte sie nach. Die Antragstellerin machte geltend, es handele sich um eine unzulässige nachträgliche Änderung des Angebots, die nicht zu berücksichtigen sei. Der Auftraggeber wandte ein, die Nachforderung der Nachunternehmererklärung sei nach § 16a VOB/A EU möglich gewesen. Dem stimmt das OLG Düsseldorf zu.
1. Wesentlicher Entscheidungsinhalt
Das OLG Düsseldorf geht davon aus, dass das Angebot der Zuschlagsprätendentin hinsichtlich der Erklärung zum Nachunternehmereinsatz trotz des eindeutigen Wortlauts unklar und daher aufklärungsbedürftig war. Dies ergebe eine Auslegung des Angebots unter Berücksichtigung der außerhalb der Erklärung liegenden Umstände. Dem Auftraggeber war aufgrund seiner Marktkenntnis und seines Wissens um den Geschäftsbetrieb der Zuschlagsprätendentin aufgrund vorausgegangener Projekte bekannt, dass die Zuschlagsprätendentin nicht in der Lage war, die Leistungen vollständig im eigenen Betrieb auszuführen (überhaupt konnten nur 3-4 Unternehmen die auftragsgegenständlichen Rohrvortriebsarbeiten im eigenen Betrieb vornehmen). Der Auftragsgeber habe es für überwiegend wahrscheinlich halten müssen, dass die fehlenden Angaben entweder auf einem Missverständnis oder Nachlässigkeit des Bieters beruhen. Im Aufklärungsgespräch habe sich dann bestätigt, dass die Erklärung zum Nachunternehmereinsatz eigentlich gefehlt habe bzw. unvollständig gewesen sei, so dass der Auftraggeber die Nachunternehmererklärung habe nachfordern dürfen.
2. Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung sollte nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Auftraggeber bei jedem Zweifel an einer eindeutigen Erklärung des Bieters zur Nachforderung berechtigt ist. Hält es der Auftraggeber aber aufgrund äußerer Anhaltspunkte für überwiegend wahrscheinlich, dass eine Erklärung wegen eines Missverständnisses oder aufgrund von Nachlässigkeit fehlt, unvollständig oder fehlerhaft ist, sollte zunächst eine Angebotsaufklärung erfolgen. Bestätigt sie die Einschätzung des Auftraggebers, ist die Nachforderung zulässig. Der Auftraggeber sollte – worauf auch das OLG Düsseldorf nachdrücklich hinweist – zeitnah und sorgfältig dokumentieren, wie er die Bietererklärung versteht.
Für alle Fragen zum Vergaberecht oder rund um das Öffentliche Recht stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Michael Wenzel (michael.wenzel@rittershaus.net) und Rechtsanwalt Dr. Christoph Rung (christoph.rung@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.