Der Begriff „Whistleblowing“ ist spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen der breiten Öffentlichkeit vertraut. Durch seine Veröffentlichungen im Sommer 2013 löste er die „NSA-Affäre“ aus und wurde zu einem der bekanntesten Whistleblower.
Aber auch im deutschen Arbeitsrecht ist Whistleblowing längst ein Begriff. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat schon im Jahr 2011 (Entscheidung vom 27.11.2011, Az.: 28274/08) die fristlose Kündigung einer Arbeitnehmerin, die Missstände bei ihrem Arbeitgeber, dem Betreiber eines Altenpflegeheims, öffentlich machte und gegen ihn Strafanzeige erstattete, für unwirksam erklärt.
Vor diesem Hintergrund haben in den letzten Jahren viele Unternehmen Whistleblowing Systeme als Teil eines Compliance Management Systems eingeführt. Dadurch soll Fehlverhalten von Mitarbeitern und anderen Betriebszugehörigen frühzeitig aufgedeckt werden. Der Effizienz eines Whistle-Blowing-Systems steht allerdings die Schwierigkeit im Weg, dass der Hinweisgeber erfahrungsgemäß mit personellen und sogar strafrechtlichen Konsequenzen rechnen muss, wenn er Kollegen, Vorgesetzte oder Arbeitgeber „verpfeift“.
Whistleblowing-Richtlinie
Genau dieser Gefahr wirkt die EU-Whistleblowing Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1937) entgegen, die schon seit drei Jahren jede Art von Vergeltungsmaßnahmen gegen Hinweisgeber verbietet. Das „Revanche Foul“ des Arbeitgebers in Form von Kündigung, Nichtverlängerung befristeter Verträge oder gerichtlicher Verfolgung wird ausdrücklich verboten. Hält sich der Arbeitgeber nicht daran, drohen ihm hohe Schadensersatzansprüche und empfindliche Bußgelder.
Der deutsche Gesetzgeber hat die Frist zur Umsetzung der Richtlinie schon am 17. Dezember 2021 verpasst. Nach der ständigen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs dürfte die Richtlinie seit diesem Zeitpunkt für öffentliche Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber bereits unmittelbar gelten. Für private Arbeitgeber in Deutschland gilt die Richtlinie zwar nicht unmittelbar. Aber die bestehenden Gesetze müssen von den deutschen Arbeitsgerichten bereits jetzt „im Lichte der Richtlinie“ ausgelegt werden. Konkret dürfte das dazu führen, dass fristlose oder verhaltensbedingte ordentliche Kündigungen eines Hinweisgebers wegen „Anschwärzens“ eines Vorgesetzten, Kollegen oder Arbeitgebers von den Arbeitsgerichten zumindest dann als unwirksam abgewiesen werden dürften, wenn der Whistleblower in guter Absicht handelte oder der Vorwurf zutraf.
Regierungsentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)
Seit dem 27. Juli 2022 liegt nun ein nationaler Regierungsentwurf vor, der die EU Whistleblowing- Richtlinie in nationales Recht umsetzen soll (einsehbar unter folgendem Link.) Geplant ist, dass das Hinweisgeberschutzgesetz („HinSchG“) Ende 2022 in Kraft tritt.
Das HinSchG wird für alle Personen gelten, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit von Verstößen erfahren und diese anzeigen oder gegen die sich der Hinweis richtet. Neben Arbeitnehmern werden auch Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder und Leiharbeitnehmer erfasst. Geschützt werden Meldungen zu Verstößen und die Offenlegung von Informationen über straf- und bußgeldbewehrte Tatbestände. Neben Straftaten werden vor allem Verstöße gegen die Regelungen zum Geldwäscheschutz, Umweltschutz, Datenschutz und Steuerrecht erfasst.
Einrichtung von Meldestellen
Kernbereich des HinSchG ist die Pflicht, interne und externe Meldekanäle zu schaffen, zwischen denen Hinweisgeber künftig die freie Wahl haben sollen. Für Arbeitgeber bedeutet dies konkret, dass sie verpflichtet werden sollen, interne Meldestellen einzurichten, wenn sie mindestens 50 Personen beschäftigen. Für Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten läuft die Umsetzungsfrist noch bis Mitte Dezember 2023. Außerdem dürfen sie mit anderen Unternehmen zusammen eine gemeinsame Meldestelle betreiben. Und in Konzernen kann die interne Meldestelle auch zentral bei der Konzernmutter eingerichtet werden.
Für viele Arbeitgeber stellt sich also bald die Frage, wie eine interne Meldestelle aussehen muss. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass entweder ein Arbeitnehmer oder ein Externer mit dieser Aufgabe betraut wird. Zur Vertraulichkeit sind sie natürlich in beiden Fällen verpflichtet. Intern anbieten könnten sich für diese Aufgabe die derzeit schon für Compliance Verantwortlichen, Justitiare oder Datenschutzbeauftragte. Wird ein externer Dritter beauftragt, muss der Arbeitgeber natürlich trotzdem selbst die nötigen Maßnahmen ergreifen, um gemeldete Verstöße abzustellen.
Schutz des Hinweisgebers
Nach dem HinSchG sind Whistleblower geschützt, wenn sie hinreichenden Grund zur Annahme hatten, dass ihre Informationen wahr sind. Dann sind sämtliche „Repressalien“ (§ 36 HinSchG-E) gegen den Hinweisgeber verboten. Der bewusst weit gefasste Begriff der Repressalie erfasst – kurz gesagt – alle für den Hinweisgeber beruflich nachteiligen Handlungen, die eine Reaktion auf seine Meldung oder Offenlegung darstellen dürften. Zum Schutz des Hinweisgebers wird von Gesetzes wegen vermutet, dass eine unzulässige Repressalie vorliegt, wenn er nach einer Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes eine Benachteiligung im Beruf erleidet. Arbeitgeber müssen also künftig beweisen, dass die Benachteiligung gerechtfertigt war und nicht auf der Meldung beruht – was in vielen Fällen schwierig werden dürfte. So könnte beispielsweise ein Arbeitnehmer auf die Idee kommen, einige Monate vor Auslaufen seines befristeten Vertrages einen Hinweis auf angeblich pflichtwidriges Verhalten in seinem Unternehmen zu geben. Allein das Auslaufenlassen des befristeten Vertrages wird dann im Zusammenspiel mit der gesetzlichen Vermutung als unzulässiges Revanchefoul des Arbeitgebers gewertet. Der Arbeitgeber dürfte vor dem Arbeitsgericht dann seine liebe Mühe haben, das Gegenteil zu beweisen.
Geldbußen
Dem allgemeinen Trend des Gesetzgebers folgend, Geldbußen und Strafen gegen Unternehmen als Quelle der allgemeinen Staatsfinanzierung einzusetzen, sieht auch dieser Gesetzesentwurf wieder einmal empfindlich hohe Bußgelder für Verstöße gegen die Vorgaben des HinSchG vor. So können beispielsweise die unterlassene Einrichtung einer internen Meldestelle oder das Ergreifen verbotener Repressalien künftig im Einzelfall mit bis zu 100.000 Euro Bußgeld belegt werden.
Arbeitsrechtliche Maßnahmen
Zur Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes im Unternehmen dürften folgende weitere arbeitsrechtliche Themen ins Blickfeld kommen:
- Einführung interner Meldestellen mit Zustimmung des Betriebsrats
- Anpassung des bisherigen Verhaltenskodex mit Zustimmung des Betriebsrats
- Schulungen der Arbeitnehmer zur Vorgehensweise bei internen Meldungen
- Einführung Prämien-System für Hinweisgeber mit Zustimmung des Betriebsrats
Interessierte sind herzlich dazu eingeladen, den Vortrag des Mitautors dieses Beitrags, Herrn Prof. Dr. Ulrich Tödtmann, zu dieser gesamten Thematik am 27.09.2022 beim IT-GRC Kongress im Mannheimer Rosengarten zu verfolgen. Nähere Informationen erhalten Sie unter https://www.grc-kongress.de/
Bei Fragen stehen Ihnen Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Tödtmann und Rechtsanwältin Sarah Kaufmann sowie das gesamte Team der Praxisgruppe Arbeitsrecht gerne zur Verfügung.