Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 24.11.2021 (Az. 3 K 2174/19 Erb) entschieden, dass der auch als „90%-Test“ bezeichnete Einstiegstest des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht zur Anwendung kommt, wenn die betreffende Kapitalgesellschaft ihrem Hauptzweck nach z.B. einer originär gewerblichen Tätigkeit nachgeht.
1. Hintergrund und Problemstellung
Die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften kann erbschaft- und schenkungsteuerlich privilegiert sein, seit der Erbschaftsteuerreform 2016 ist allerdings zwischen der (abstrakten) Begünstigungsfähigkeit dem Grunde nach und der (tatsächlichen) Begünstigung zu unterscheiden. Anteile an Kapitalgesellschaften sind begünstigungsfähig, wenn es sich um eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft handelt, an der der Erblasser oder Schenker unmittelbar zu mehr als 25% beteiligt war. Der Anteil an der Kapitalgesellschaft ist dagegen nur begünstigt, soweit der gemeine Wert der Gesellschaft den Nettowert des – damit letztlich steuerpflichtigen – Verwaltungsvermögens übersteigt.
Nach dem sog. Einstiegstest ist eine erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung jedoch komplett ausgeschlossen, wenn der Wert des Verwaltungsvermögens mindestens 90% des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.
Problematisch ist, dass im Rahmen der Vergleichsrechnung ausschließlich auf das Bruttoverwaltungsvermögen abgestellt wird, d.h. Schulden nicht in Abzug gebracht und auch die Freibeträge für unschädliche Finanzmittel (15%) und unschädliches Verwaltungsvermögen (10%) nicht mindernd berücksichtigt werden können. Da Forderungen aus Lieferungen und Leistungen als Bestandteil der sog. Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen gehören, kann es jedoch insb. bei Handelsunternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells regelmäßig einen hohen Forderungsbestand aufweisen, relativ schnell zu einer Versagung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigung kommen.
2. Die Entscheidung des FG Münster vom 24.11.2021
Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hatte durch Schenkung im Jahr 2017 alle Anteile an einer GmbH von ihrem Vater erworben. Die GmbH betrieb ein Unternehmen für den Vertrieb von Originalarzneimitteln und pharmazeutischen Generika und war daneben auch forschend tätig. Das zuständige (Feststellungs-)Finanzamt stellte den Wert des Anteils an der Kapitalgesellschaft auf 555.975 EUR fest. Da die Finanzmittel mit 2.517.649 EUR festgestellt wurden (weiteres Verwaltungsvermögen gab es nicht), ergab sich beim sog. Einstiegstest ein Prozentsatz von über 450, woraufhin das zuständige Finanzamt die Befreiung vollständig ablehnte.
Die Kapitalgesellschaft verfügte vorliegend auch über Schulden i.H.v. 3.138.504 EUR, die allerdings nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht abgezogen werden dürfen. Dies führt vorliegend zu dem absurden Ergebnis, dass der Anteil an der Kapitalgesellschaft begünstigungsfähig gewesen wäre, wenn sämtliche Finanzmittel im Vorfeld der Schenkung zur Rückführung der Schulden eingesetzt worden wären (da das Verwaltungsvermögen dann mit 0 EUR hätte berücksichtigt werden müssen).
Aus Sicht des Finanzgerichts Münster ist jedoch in Fällen, in denen die Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft nach ihrem Hauptzweck land- und forstwirtschaftlich, originär gewerblich oder freiberuflich ist, die Regelung zum sog. Einstiegstest nicht anzuwenden. Durch die Regelung soll nach der Gesetzesbegründung begünstigungsfähiges Vermögen von der Verschonung ausgenommen werden, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht. Anderenfalls könnten derartige Gesellschaften mit einer geringen land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit ausgestattet werden und dadurch z.B. zumindest eine Teilverschonung bei den Finanzmitteln i.H.v. 15% erreicht werden. Gemessen an diesem Gesetzeszweck kann der sog. Einstiegstest somit nicht zur Anwendung kommen, wenn die betreffende Gesellschaft nach ihrem Hauptzweck einer dem Grunde nach begünstigten Tätigkeit nachgeht.
Durch eine wortlautgetreue und uneingeschränkte Anwendung des sog. Einstiegstests würden stattdessen insb. für Handels- und Dienstleistungsunternehmen Anreize gesetzt, entgegen ihrem gewachsenen und üblichen Geschäftsmodell betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle Ausweichgestaltungen in Betracht zu ziehen, um den „90%-Test“ zu bestehen.
Zutreffend weist das Finanzgericht auch darauf hin, dass ein Abstellen auf den Hauptzweck bereits dem geltenden ErbStG nicht fremd ist. Denn auch für die Gewährung des 15%igen Abschlags bei den (die Schulden übersteigenden) Finanzmitteln wird verlangt, dass die betreffende Gesellschaft nach ihrem Hauptzweck einer land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit nachgeht.
3. Folgen für die Praxis
Da die Revision zugelassen und durch die Finanzverwaltung vorliegend auch eingelegt wurde (Az. II R 49/21), ist in ein bis zwei Jahren mit einer höchstrichterlichen Entscheidung durch den Bundesfinanzhof zu rechnen. Bis es soweit ist, können laufende Verfahren ruhen und auch eine Aussetzung der Vollziehung beantragt werden.
Vor dem Hintergrund einer jüngeren Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 17.06.2020 (Az. II R 43/17) zur Bestimmung des Werts eines Personengesellschaftsanteils für Zwecke der Erbschaftsteuer bleibt es aber mit Spannung zu erwarten, ob der Bundesfinanzhof der Auffassung des Finanzgerichts Münster folgt. In dem genannten Fall hat der Bundesfinanzhof geurteilt, dass das typisierende Bewertungsschema des § 97 Abs. 1a BewG auch dann zu einem positiven Anteilswert für einen Gesellschafter führen kann, wenn der Wert der Gesellschaft insgesamt negativ ist (z.B. durch ein positives Kapitalkonto des betreffenden Gesellschafters, während die Kapitalkonten der anderen Gesellschafter negativ sind). Sofern ein Gesellschafter der Meinung ist, dass sein Anteilswert geringer ausfallen müsse, könne er dies z.B. durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens darlegen.
Es lässt sich allerdings ableiten, dass zur Vermeidung von erbschaft- und schenkungsteuerlichen „Überraschungen“ im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge zum einen stets eine lebzeitige Lösung angestrebt, zum anderen aber auch auf Widerrufsmöglichkeiten zurückgegriffen werden sollte, durch die eine Rückabwicklung der erfolgten Schenkung bei Überschreiten einer bestimmten Schenkungsteuerbelastung möglich wird.
Für Ihre Rückfragen stehen Ihnen Steuerberater Hendrik Grosse und Steuerberater Christoph Hübner jederzeit gerne zur Verfügung.