Für das Fortschreiten der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts hatte die Coronapandemie spürbar einen positiven Effekt. Insbesondere die Möglichkeit der Abhaltung virtueller Hauptversammlungen, bei denen die Aktionäre nicht physisch am Versammlungsort, sondern online zugeschaltet teilnahmen, kam in der Praxis gut an. Die in der Pandemie durch das Covid-Maßnahmen-Gesetz geschaffenen Sonderregeln gelten mittlerweile allerdings nicht mehr. Um virtuelle Hauptversammlungen als Alternative zu den physischen Versammlungen auch über die Laufzeit des COVMG hinaus und dauerhaft zu etablieren, hat der Gesetzgeber letztes Jahr die aktienrechtlichen Regelungen zur Hauptversammlung reformiert. Mittelpunkt der Neuregelungen ist nun § 118a AktG. Im Vergleich zum sehr emittentenfreundlichen COVMG wurden durch die Neuregelungen aber die Aktionärsrechte gestärkt, weshalb sich zur virtuellen Hauptversammlung nach dem COVMG bedeutsame Unterschiede ergeben.
Die Rechte der Aktionäre konnten nach dem COVMG so stark eingeschränkt werden, dass diese während der virtuellen Hauptversammlung überhaupt nicht zu Wort kamen. Dies war aus Sicht der Gesellschaften insoweit angenehm, als man unbequemen oder redseligen Aktionären in der virtuellen Hauptversammlung keine Bühne mehr geben musste. Mit der Neuregelung in § 118a AktG möchte der Gesetzgeber die virtuelle Hauptversammlung nun wieder mehr der physischen Hauptversammlung angleichen. Sämtliche Rechte, die in der Präsenzversammlung wahrgenommen werden können, müssen auch jeweils eine äquivalente elektronische Variante besitzen. In § 118a Abs. 1 Satz 2 AktG finden sich daher zahlreiche Rechte der Aktionäre, die diesen in der virtuellen Hauptversammlung zustehen. Zum Beispiel wird den Aktionären erlaubt, Anträge und Wahlvorschläge in der virtuellen Hauptversammlung per Videokommunikation (E-Mail o.Ä. ist nicht ausreichend) zu stellen, was nach dem COVMG nicht möglich war. Besonders interessant ist für die Aktionäre sicherlich auch das ihnen in der virtuellen Hauptversammlung zustehende Auskunfts- bzw. Fragerecht. Zwar darf dieses eingeschränkt werden, damit kein Aktionär eine Hauptversammlung sprengen kann, doch nicht mehr so einschneidend wie noch nach dem COVMG. Im Vergleich zur virtuellen Hauptversammlung nach dem COVMG können die Aktionäre folglich deutlich stärker Einfluss auf die Hauptversammlung nach § 118a AktG nehmen und deren Ablauf verkomplizieren.
Auch ist es nicht so, dass es bei einer virtuellen Hauptversammlung keinen physischen Versammlungsort mehr geben muss. Es handelt sich nämlich mitnichten um eine reine Onlineveranstaltung. So dürfen Vorstand, Aufsichtsrat und Versammlungsleiter sich grundsätzlich nicht einzeln online zuschalten, die Verwaltung muss vielmehr geschlossen von einem Ort aus an der virtuellen Hauptversammlung teilnehmen.
Wie bei jeder Hauptversammlung stellt sich auch bei der virtuellen Hauptversammlung die Kostenfrage: Da die Aktionäre die gesamte Hauptversammlung in Bild und Ton verfolgen können müssen, braucht es eine zuverlässige IT-Infrastruktur, die im Zweifelsfall durch einen externen Dienstleister gestellt wird und entsprechende Kosten verursacht. Die Ausübung der Aktionärsrechte muss während der Hauptversammlung ebenfalls technisch gewährleistet werden. Wird hiergegen verstoßen, sind die von der virtuellen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse anfechtbar.
Zunächst kein Stolperstein auf dem Weg zur virtuellen Hauptversammlung ist dagegen die gesetzliche Maßgabe, dass deren Abhaltung eigentlich durch die Satzung der Gesellschaft erlaubt sein muss. Das gilt jedenfalls für Hauptversammlungen, die bis 31. August 2023 einberufen werden. Denn für diese hat der Gesetzgeber eine Übergangsnorm vorgesehen, die eine virtuelle Hauptversammlung auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage erlaubt. Die unter die Übergangsnorm fallende Hauptversammlung muss dann aber eine solche Satzungsregelung beschließen, wenn auch die nächste Hauptversammlung in 2024 wieder virtuell abgehalten werden soll.
Das Anliegen des Gesetzgebers, das Gesellschaftsrecht durch Einführung des § 118a AktG weiter zu digitalisieren ist zu begrüßen. Ob die virtuelle Hauptversammlung der klassischen Präsenzversammlung vorzuziehen ist, muss im Einzelfall allerdings genau geprüft werden.
Bei dieser Entscheidungsfindung und auch bei weiteren Fragen zu diesem Thema unterstützt Sie Rechtsanwältin Lisa Zeman gerne unter lisa.zeman(a)rittershaus.net.