Der Ehemann schenkt seiner Ehefrau ein Gebäude, das sich unstreitig in einem sehr schlechten baulichen Zustand befindet. In der Folge gehen die Eheleute übereinstimmend von einem nur sehr geringen Wert des Gebäudes aus, den sie auch im Übertragungsvertrag angeben. Probleme?
Ist der Steuerpflichtige der Meinung, dass der tatsächliche Wert von Grundvermögen geringer sei als der typisierte Wert nach dem Bewertungsgesetz, hat er diesen geringeren gemeinen Wert nachzuweisen. Weder das Finanzamt noch das Finanzgericht sind zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet. Dies hat der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 17. November 2021 (II R 26/20) entschieden.
1. Hintergrund und Problemstellung
Grundbesitzwerte sind nach § 12 Abs. 3 ErbStG i. V. m. §§ 151 ff. BewG gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaft- und Schenkungsteuer von Bedeutung sind. In Erbfällen oder im Kontext von Schenkungen ist somit eine gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes von Nöten.
Das Bewertungsgesetz sieht in den §§ 176 ff. die entsprechenden Regelungen vor, nach denen der gemeine Wert des Grundvermögens zu ermitteln ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken zu unterscheiden. Während sich der Wert von unbebauten Grundstücken nach ihrer Fläche und den Bodenrichtwerten bestimmt (§ 179 BewG), werden bebaute Grundstücke zunächst in eine von sechs möglichen Grundstücksarten (§ 181 BewG) eingruppiert, aus der in der Folge ein bestimmtes Bewertungsverfahren resultiert (§ 182 BewG). Alternativ stehen diesbezüglich das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren und das Sachwertverfahren zur Verfügung.
Das Bewertungsgesetz geht typisierend davon aus, dass es sich bei den festgestellten Werten um die gemeinen Werte handelt (§ 177 BewG), auch wenn dies im Einzelfall dazu führen kann, dass steuerlich ein höherer Wert als der Marktwert festgestellt wird. Einer drohenden steuerlichen Überbewertung des Grundvermögens kann der Steuerpflichtige nur entgegenwirken, indem er nachweist, dass der Marktwert tatsächlich geringer ist als der am Bewertungsstichtag steuerlich festgestellte Wert (§ 198 BewG). Hierzu ist in der Regel ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erforderlich oder es liegt ein zeitnah – innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag – erzielter Kaufpreis vor.
2. Die Entscheidung des BFH vom 17.11.2021 (II R 26/20)
Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin erhielt ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden geschenkt, das im Jahr 1810 errichtet wurde und sich in einem nahezu ruinösen Zustand befand. Im Übertragungsvertrag wurde demgemäß nur ein sehr geringer Gebäudewert i. H. v. 4.000 EUR angegeben.
Das Finanzamt ermittelte den Grundbesitzwert für Zwecke der Schenkungsteuer – wie nach § 195 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 182 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 BewG vorgesehen – dagegen im Rahmen des Sachwertverfahrens und stellte einen Wert i. H. v. 58.359 EUR fest. Aufgrund des Baujahrs des Gebäudes wurde zwar eine Alterswertminderung i. H. v. 100% berücksichtigt, als Mindestwert des Gebäudes aber dennoch 30% des ermittelten Gebäuderegelherstellungswerts angesetzt, da keine Abrissverpflichtung bestand.
Den Einspruch der Klägerin wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Die Bewertung sei zutreffend im Sachwertverfahren erfolgt, da kein Vergleichswert vorgelegen habe und ein niedrigerer Grundbesitzwert – für den die Klägerin die Nachweislast trage – nicht nachgewiesen wurde. Im anschließenden Klageverfahren verwies die Klägerin auf den ruinösen Bauzustand des Gebäudes und trug vor, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, die Kosten eines Gutachtens aufzubringen. Zum Beweis des niedrigeren Werts des Gebäudes beantragte sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Finanzgericht.
Der Bundesfinanzhof bestätigte allerdings die Auffassung des Finanzamtes und der Vorinstanz, wonach der Steuerpflichtige den Nachweis selbst zu erbringen hat. Diesen Nachweis kann der Steuerpflichtige durch einen zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis oder durch die Vorlage eines Sachverständigengutachtens erbringen. Zwar mögen im Einzelfall auch andere Belege zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geeignet sein, im Rahmen einer Typisierung ist es allerdings zulässig, speziell an ein Sachverständigengutachten die Vermutung eines geringeren gemeinen Wertes zu knüpfen. Ein Antrag des Steuerpflichtigen, dass das Finanzgericht ein Sachverständigengutachten einholen möge, ist jedoch nicht ausreichend.
3. Folgen für die Praxis
Das Urteil verdeutlicht, dass Annahmen bzw. Typisierungen im Steuerrecht für den Steuerpflichtigen nicht stets vorteilhaft sein müssen, sondern in Einzelfällen auch nachteilig sein können. Vorliegend führte die Annahme, dass 30% des ermittelten Gebäuderegelherstellungswerts als Mindestwert des Gebäudes anzusetzen sind, zu einem (unstreitig) zu hohen Wertansatz des Grundvermögens.
Vor dem Hintergrund eines weiteren Urteils des Bundesfinanzhofes vom 17. Juni 2020 (II R 43/17) im Kontext des § 97 Abs. 1a BewG zur Bewertung von Anteilen an Personengesellschaften ist diese Entscheidung jedoch nicht überraschend. Im Urteilsfall war das Kapitalkonto des Erblassers zum Stichtag positiv, während die Kapitalkonten der Mitgesellschafter negativ waren. Trotz eines nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) ermittelten negativen Werts ergab sich unter Berücksichtigung des Kapitalkontos des Erblassers dennoch ein positiver Anteilswert für den Erblasser. Auch dies sei aus Sicht des Bundesfinanzhofes grundsätzlich so hinzunehmen. Ist der Steuerpflichtige der Auffassung, dass der tatsächliche Wert geringer sei, kann er einen niedrigeren gemeinen Wert aus einem zeitnahen Verkauf ableiten oder – sollte ein zeitnaher Verkauf nicht vorliegen – durch ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachweisen.
Ursprünglich als Vereinfachungsregelung gedachte Regelungen erweisen sich somit für den Steuerpflichtigen ggf. nur vordergründig als solche. Denn der Steuerpflichtige hat typisierende Annahmen mit den Ergebnissen aus marktgängigen Bewertungsverfahren (insb. Gutachtenwert) zu vergleichen, um eine belastbare Entscheidungsgrundlage zu erhalten; hieraus resultiert jedoch zwangsläufig ein erhöhter Ermittlungs- und Kostenaufwand.
Für Ihre Rückfragen stehen Ihnen Steuerberater Hendrik Grosse und Steuerberater Christoph Hübner jederzeit gerne zur Verfügung.