Darf man ohne Genehmigung einem fremden Tonträger einen Auszug entnehmen und diesen stark verändert wiederverwenden? Kurz gefragt: Ist sampeln erlaubt?
Elektro-Pioniere vs. Rapper – Eine deutsche Prozessgeschichte
Aus dieser scheinbar unbedeutenden, allenfalls Musik-Freaks interessierenden Rechtsfrage, die die deutschen Gerichte – und nunmehr auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seiner Entscheidung vom 29. Juli 2019, C-476/17 – seit über 20 Jahren beschäftigt, ist mittlerweile ein Verfassungskonflikt geworden, mit dem vorläufigen Zwischenfazit, dass europäisches Urheberrecht notfalls deutsches Verfassungsrecht schlägt.
Der Frankfurter Rapper und Musikproduzent Moses Pelham hatte für den Song „Nur mir“, performt von der Sängerin Sabrina Setlur, eine zwei Sekunden dauernde Sequenz aus dem Lied „Metall auf Metall“ der Düsseldorfer Band Kraftwerk, unstreitig Pioniere der elektronischen Musik von Weltrang, übernommen und mit fünf Prozent verlangsamter Geschwindigkeit in einem so genannten Loop fortlaufend wiederholt. Nachdem sich mittlerweile der Bundesgerichtshof mehrfach, das Bundesverfassungsgericht einmal und nun der Europäische Gerichtshof mit diesem Rechtsstreit befasst haben, kann die vorläufige Antwort nicht überraschen: Es kommt darauf an.
Immerhin: Die Entscheidung des EuGH vom 29. Juli 2019 stellt wenigstens insoweit ein Grundsatzurteil dar, als es nach seiner Auffassung bei der Entscheidung auf etwas anderes ankommt, als die deutschen Gerichte bislang meinten. Mit seiner Entscheidung dürfte sich der EuGH tatsächlich jedoch weit weniger auf die Seite derer geschlagen haben, die das Sampeln für generell zulässig ansehen wollen, als es in vielen ersten Kommentaren in der Presse den Anschein hatte.
BGH: Was Du selber kannst besorgen, übernehme nicht von andern
2012 wurde der Streit bereits vor dem Bundesgerichtshof verhandelt; damals bekam Kraftwerk Recht. Was oft verkannt wird: Der Bundesgerichtshof hatte das Sampling keineswegs generell für unzulässig erachtet. Vielmehr könne die Übernahme fremder Sequenzen sehr wohl eine erlaubnisfreie (d.h. ohne vorherige Zustimmung des Urhebers bzw. des Inhabers der Tonträgerrechte) Benutzung eines fremden Werkes im Sinne des § 24 Abs. 1 UrhG darstellen. Der Bundesgerichtshof verfiel jedoch bei seiner Abwägung zwischen Schutz der Urheberrechte des Künstlers, der das Original geschaffen hat, einerseits und Kunst- sowie wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit des sampelnden Künstlers andererseits auf das Kriterium, inwieweit es dem Sampler technisch ohne weiteres möglich gewesen wäre, die übernommene Sequenz selbst zu produzieren. Dies führte zu dem Ergebnis, dass Moses Pelham keineswegs auf die Übernahme der Kraftwerk-Sequenz angewiesen war.
BVerfG: Klauen kann Kunst sein
Das Bundesverfassungsgericht stellte sich dem in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2016 entgegen und verwarf das Kriterium der Nacharbeitbarkeit. Die Kunst des Sampelns bestehe gerade in der Übernahme und ggf. Bearbeitung von Sequenzen; eine Einschränkung dahingehend, dass Sequenzen, die auch selbst nachgearbeitet werden können, nun nicht mehr übernommen werden dürften, greife unzulässig in das Grundrecht der Kunstfreiheit des sampelnden Künstlers ein. Punktsieg für Moses Pelham.
BGH: Wem Karlsruhe missfällt, suche sein Glück in Luxemburg
Dies war aber noch nicht das Ende des Rechtsstreits. Der Bundesgerichtshof sah sich nun im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe genötigt, den EuGH zu fragen, ob die EU-Richtlinien 2001/29 sowie 2006/115, in deren Licht die hier einschlägigen Vorschriften des deutschen Urheberrechtsgesetzes, vor allem der § 24 Abs. 1 UrhG, auszulegen sind, überhaupt zulassen, dem Urheber der musikalischen Vorlage die Duldung einer Entnahme zum Zwecke des Sampelns zuzumuten. Diese Frage hat der Bundesgerichtshof nicht nur im Hinblick auf die Reichweite der freien Benutzung gemäß § 24 Abs. 1 UrhG gestellt, sondern auch unter dem Aspekt, ob die Verwendung des Musikschnipsels gegebenenfalls als Musikzitat zulässig sein könnte, denn auch für ein Zitat bedürfte es keiner Einwilligung seitens des Urhebers.
EuGH: Nur was Du nicht hören kannst, muss Dich nicht stören
Der EuGH hat nun am 29. Juli 2019 den sampelnden Künstlern Steine statt Brot gegeben: Die Übernahme einer Musiksequenz ist dann, allerdings auch nur dann zulässig, wenn das Fragment in den anderen Tonträger „in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form eingefügt wird“. Jedoch: Wann ist eine Sequenz wiedererkennbar? Welches geschulte oder ungeschulte Ohr soll hier Maßstab sein? Fragen, die der EuGH unbeantwortet lässt. Wer sich das Kraftwerk- und Setlur-Stück hintereinander anhört, kann nicht ernsthaft zu dem Schluss gelangen, das übernommene Fragment sei als solches nicht mehr wiedererkennbar. Aber reichen ggf. die von Pelham vorgenommenen Eingriffe, um vielleicht doch von einem ausreichenden Abstand zum Original zu sprechen?
Der Bundesgerichtshof wird über diese Frage nun befinden müssen. Wäre er allerdings bei seiner früheren Befassung auch nur ansatzweise zu dem Schluss gekommen, die Metall auf Metall-Sequenz sei von Pelham bis zur Nicht-Wiedererkennbarkeit weiterverarbeitet worden, hätte er die Kraftwerk-Klage wahrscheinlich von vornherein abgewiesen. Alles spricht daher dafür, dass der Bundesgerichtshof zu dem Schluss kommen müsste, dass hier ein unzulässiges, weil im Ergebnis nach wie vor wiedererkennbares Sample vorliegt.
Ob der Bundesgerichtshof mit dem Zitat-Recht weiterkommen wird, dürfte nach dem EuGH-Urteil ebenfalls fraglich sein. Denn ein Zitat sei, so die europäischen Richter, nur zulässig, wenn das Zitat (hier das Sample) zu „einer geistigen Auseinandersetzung“ mit dem Original bzw. dessen Urheber genutzt werde. Indes: Die rhythmische Untermalung eines Pop- bzw. Rap-Stücks der 90er Jahre als eine geistige Auseinandersetzung mit den Kraftwerk-Komponisten verstehen zu wollen, erscheint dann doch etwas hoch gegriffen.
So ist der Bundesgerichtshof nun in der verfassungsrechtlichen Zwickmühle: Bleibt er bei seiner Einschätzung, dass die zwei Sekunden von Kraftwerk im Setlur-Hit wiedererkennbar verwendet wurden, wird er der Klage der Kraftwerk-Autoren stattgeben und sich damit der verfassungsrechtlich abgesicherten Kunstfreiheit von Moses Pelham, wie vom Bundesverfassungsgericht in 2016 ausdrücklich hervorgehoben, den Laufpass geben müssen. Denn nach Auffassung des EuGH lassen die oben genannten europäischen Urheberrechtsrichtlinien dem deutschen Gesetzgeber keinen Gestaltungsspielraum (sogenannte Vollharmonisierung durch das europäische Recht), so dass insoweit auch keine Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts den sampelnden Künstlern zur Seite springen können.
Bei Rückfragen zum Urheberrecht oder sonstigen IP-Rechten steht Ihnen Rechtsanwalt Dr. Daniel Weisert unter daniel.weisert@rittershaus.net jederzeit zur Verfügung.