Nachrichten über das Coronavirus (Covid-19) sind derzeit omnipräsent. Die Zahl der weltweit bestätigten Erkrankungsfälle beträgt nun fast 100.000 (Stand: 03. März 2020); eine weitere Ausbreitung auch in Deutschland ist zu erwarten. Unabhängig von unterschiedlichen Einschätzungen zur Sicherheitslage lassen sich Auswirkungen auf den internationalen Handel nicht leugnen. In der zunächst betroffenen Volksrepublik China wurden nicht nur mindestens 18 Städte abgeriegelt, auch etliche Betriebe und Werkshallen wurden geschlossen. In der Folge drohen nun Engpässe oder Ausfälle in Lieferketten. Insbesondere in der Produktion und Herstellung wiegen Stillstände schwer. Solche Unterbrechungen der Lieferketten dürften sich mit der weiteren Ausbreitung des Virus potenzieren; betroffen sind unterschiedlichste Branchen.
Dies wirft aus rechtlicher Sicht die Frage auf, ob Vertragspflichten (dennoch) erfüllt werden müssen. Einige prominente Unternehmen haben bereits unter Berufung auf „höhere Gewalt“ (auch „force majeure“) erklärt, nicht in der Lage zur Vertragserfüllung zu sein. Ob dem tatsächlich so ist, bedarf einer genauen Prüfung im Einzelfall.
Eine spezielle Regelung für höhere Gewalt existiert im deutschen Zivilrecht nicht. Sie kann dazu führen, dass der Gläubiger an der Durchsetzung vertraglicher Ansprüche gehindert ist; einschlägig sind die Vorschriften über die Leistungsbefreiung wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Liegt höhere Gewalt vor, scheidet zudem in der Regel ein Schadensersatzanspruch aus, weil keiner der Vertragsparteien ein Verschulden anzulasten ist.
Ist die Erfüllung der Leistungspflicht unmöglich oder grob unverhältnismäßig, führt § 275 BGB zu einem Wegfall der Leistungspflicht oder zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Lieferanten. Auch bei einem nur vorübergehenden Leistungshindernis kann Unmöglichkeit anzunehmen sein, wenn das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage stellt und dem Vertragspartner daher die Einhaltung des Vertrages bis zum ungewissen Zeitpunkt des Entfallens des Leistungshindernisses nicht zuzumuten ist. § 313 BGB sieht vor, dass im Falle einer schwerwiegenden Veränderung von Umständen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die Anpassung des Vertrages verlangt werden kann. Diesbezüglich existiert aufgrund der notwendigen Abwägung im Einzelfall eine weit gefächerte Rechtsprechung.
Insbesondere im grenzüberschreitenden Handel werden häufig Vertragsklauseln eingesetzt, die den Fall höherer Gewalt explizit regeln. Als typische Fallgruppen höherer Gewalt gelten etwa Kriege, Unruhen oder Naturkatastrophen. Betroffene Unternehmen könnten sich in den eingangs dargestellten Fallkonstellationen möglicherweise auf die Regelbeispiele der „Krankheit/Epidemie“ sowie – im Fall der behördlichen Anordnung der Werkschließung – des „behördlichen/staatlichen Eingriffs“ berufen, wenn diese aufgeführt sein sollten. Auch unter ein „unvorhersehbares Ereignis“ kann eine derartige Situation fallen.
Im Kontext des deutschen Reiserechts hat das AG Augsburg (Urteil vom 09.11.2004 – 14 C 4608/03) entschieden, dass der Ausbruch von SARS in den Jahren 2002/2003 in einigen Regionen Chinas als Epidemie angesehen werden und „höhere Gewalt“ begründen konnte. In der juristischen Literatur zum UN-Kaufrecht (CISG) ist anerkannt, dass Epidemien, staatliche Eingriffe oder blockierte Transportwege Fallbeispiele sind, die zu höherer Gewalt im Sinne des Art. 79 CISG führen können.
Abhängig von der konkreten Ausgestaltung wird sich der von einer Betriebsschließung direkt betroffene Zulieferer – beispielsweise in China – regelmäßig auf höhere Gewalt bzw. auf Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit berufen können. Dies gilt nicht in jedem Fall für den nur mittelbar betroffenen Lieferanten. Der Lieferant muss nämlich zunächst bei einem Ausfall des Sublieferanten alternative Liefer- und Bezugsquellen oder Transportwege heranziehen. Eine absolute Abhängigkeit von einem betroffenen Lieferanten besteht in der Regel nicht – wobei Ausnahmen, insbesondere bei stark spezialisierten Zulieferern, denkbar sind.
Von Lieferengpässen betroffene Unternehmen sollten nun zunächst untersuchen, ob in den maßgeblichen Verträgen Klauseln zu höherer Gewalt existieren. Dabei ist insbesondere relevant, ob die oben aufgeführten Regelbeispiele genannt und einschlägig sind und ob eine abschließende oder eine nur beispielhafte Auflistung vorliegt. Es sollte zu-dem geprüft werden, welche Rechtsfolge die Klausel vorsieht und ob die Klausel eine unverzügliche Meldung an den Vertragspartner verlangt.
In jedem Fall ist es zu empfehlen, sämtliche Informationen, auch zu den Umständen der Vertragsstörung, umfassend zu dokumentieren. Darunter fallen auch Behördenkontakte und -schreiben, etwaige Verbote, Betriebsbeschränkungen, bestätigte Fälle der Ansteckung, behördliche Prüfungen etc. Es können zudem behördliche Einschätzungen zur Sicherheitslage zusammengestellt werden. Ist eine Partei selbst von einem Ausfall betroffen, ist eine Dokumentation gar unabdingbar, um Schadensersatzansprüche von Vertragspartnern abzuwehren: Dann muss die Partei nachweisen, dass sie die Verträge nicht erfüllen kann. In derartigen Fällen sollte der Vertragspartner zudem möglichst frühzeitig (ggf. schriftlich) auf die drohenden Lieferschwierigkeiten hingewiesen werden. So kann sich dieser auf das Leistungshindernis einstellen und den Schaden möglicherweise mindern.
Zudem bietet das China Council for the Promotion of International Trade chinesischen Unternehmen, die im Zuge des Coronavirus nachweislich in Schwierigkeiten mit der Vertragserfüllung geraten, sogenannte „force majeure-Zertifikate“ an. In China ansässige Unternehmen sollten sich um ein solches Zertifikat bemühen; für Vertragspartner kann es sinnvoll sein, sich dies vorlegen zu lassen.
Festzuhalten bleibt, dass eine Vielzahl von Konstellationen denkbar ist, in der sich die derzeitige Situation um das Coronavirus auf Vertragsbeziehungen auswirken kann. Dabei bedarf es nicht nur einer sorgfältigen Betrachtung des Einzelfalls, sondern auch einer pragmatischen Umsetzung von Begleithandlungen. Bei allen Fragen und bei Beratungsbedarf stehen Ihnen Rechtsanwältin Dr. Claudia Pleßke (unter claudia.plesske@rittershaus.net), Rechtsanwalt Dr. Marc Hauser (marc.hauser@rittershaus.net) und Rechtsanwalt Patrick Schultes (patrick.schultes@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.