Referentenentwurf und Ausblick auf den Gesetzesentwurf
Nun ist es so weit: Nach Ankündigung des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil soll ein Entwurf zum Lieferkettengesetz noch Mitte März 2021 vorgelegt werden, damit das Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Ein Referentenentwurf wurde bereits veröffentlicht. In seiner Sitzung am 3. März 2021 hat sich das Bundeskabinett mit dem Gesetzesentwurf befasst. Gegenüber dem im vergangenen Jahr von den Bundesministern Heil und Müller vorgelegten Eckpunktepapier zum Lieferkettengesetz sind die Regelungen nach dem Referentenentwurf nun an wesentlichen Stellen entschärft worden.
Die wesentlichen Punkte im Überblick:
Betroffene Unternehmen: Das Lieferkettengesetz soll ab 1. Januar 2023 in Kraft treten und zunächst für alle inländischen Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern gelten. Bei verbundenen Unternehmen werden die Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften der Arbeitnehmerzahl der Konzernmutter hinzugerechnet. Dies gilt auch dann, wenn eine konzernangehörige Gesellschaft ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung oder ihren Sitz im Ausland hat. Für die Zurechnung reicht aufgrund des allgemeinen Verweises auf § 15 AktG bereits der faktische Konzern aus. Ab dem Jahr 2024 soll sich das Gesetz dann auch für Unternehmen gelten, die lediglich 1.000 Mitarbeiter oder mehr haben. Im Eckpunktepapier war die Schwelle ursprünglich bei 500 Mitarbeitern gesetzt worden. Kleinere Unternehmen dürfen sich durch die höheren Mitarbeiterschwellen indes nicht sicher wähnen. Durch die Verpflichtung der Unternehmen zur Prävention und Risikoanalyse entlang ihrer Lieferkette werden auch kleine Lieferanten und Zulieferer nicht davor gefeit sein, von den primär betroffenen großen Unternehmen vorgegebene Maßnahmen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen umzusetzen.
Risikomanagement: Unternehmen müssen ein angemessenes Risikomanagement einführen und dieses regelmäßig kontrollieren. Diese Pflicht ist nicht neu, sie ist in dem neuen Entwurf allerdings begrenzt worden auf den Geschäftsbereich des Unternehmens und die Geschäftsbereiche der unmittelbaren Zulieferer. Dass mittelbare Zulieferer und deren Handlungen nicht relevant werden, wäre allerdings ein Trugschluss. Indem die Unternehmen bei ihrem Risikomanagement verpflichtet werden, auch solche Verletzungen zu beenden respektive zu minimieren, die das Unternehmen im Geschäftsbereich seiner mittelbaren Zulieferer verursacht oder zumindest mitverursacht hat, sind die mittelbaren Zulieferer in der Risikobetrachtung nicht außen vor. Dies scheint sich auch durch die Gesetzesfassung, die das Bundeskabinett am 3. März 2021 beschlossen hat, nicht wesentlich geändert zu haben. Zwar wird insoweit nun auf die Verursachung und Mitverursachung „in der Lieferkette“ abgestellt; zur Lieferkette gehören nach der Definition im Gesetzesentwurf aber auch die mittelbaren Zulieferer. Zudem werden die Unternehmen explizit verpflichtet, ihnen bekannt gewordenen Beschwerden über Menschenrechtsverstöße bei mittelbaren Zulieferern nachzugehen und ihre Risikoanalyse sodann auch auf diese zu erstrecken. Die hierfür bei dem Unternehmen erforderliche „substantiierte Kenntnis“ von einem Verstoß soll nach dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzesentwurf dann vorliegen, wenn eine Verletzung bei einem mittelbaren Zulieferer möglich erscheint und dem Unternehmen hierfür ernst zu nehmende und überprüfbare Informationen zur Verfügung stehen.
Prävention, Grundsatzerklärung und Abhilfe: Stellt das Unternehmen Risiken fest, muss es Präventionsmaßnahmen einleiten. Hierzu gehört insbesondere eine Grundsatzerklärung, die unter anderem die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens und die Erwartungen an die eigenen Beschäftigten und Zulieferer enthalten muss. Präventionsmaßnahmen gegenüber (potenziellen) Vertragspartnern bestehen gegebenenfalls auch darin, diese sorgfältig auszuwählen oder bestimmte Kontrollmechanismen festzuschreiben, die im Anschluss regelmäßig kontrolliert werden. Stellt das Unternehmen Verletzungen fest, muss es unverzüglich Abhilfemaßnahmen einleiten. Die Intensität der Abhilfemaßnahmen und deren Erfolg hängt von den Möglichkeiten der Einflussnahme des Unternehmens auf die Verletzung ab: Im eigenen Geschäftsbereich muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen. Bei mittelbaren Zulieferern sollte das Unternehmen nach dem Referentenentwurf nur dann eingreifen müssen, wenn es Kenntnis von der Verletzung hat oder es die dafür erforderlichen Informationen angemessen ermitteln kann. Diese Regelung wurde im Gesetzesentwurf nun offenbar fallengelassen. Bei unmittelbaren Zulieferern kann bzw. muss eine Abhilfemaßnahme auch so weit gehen, dass die Geschäftsbeziehung temporär bis zur Abhilfe ausgesetzt oder (als ultima ratio) endgültig beendet wird.
Beschwerdeverfahren: Ähnlich wie nach den bisherigen europäischen Vorschlägen und dem Vorschlag aus dem Eckpunktepapier ist ein Unternehmen nach dem Referentenentwurf gehalten, ein internes Beschwerdeverfahren einzurichten, das allen Betroffenen aus seinem Geschäftsbereich und seiner Lieferkette ermöglicht, auf Verstöße gegen Menschenrechte hinzuweisen. Das Beschwerdesystem ist insbesondere auch den mittelbaren Zulieferern zugänglich zu machen. Erlangt das Unternehmen hierüber substantiierte Kenntnis von Verletzungen aus dem Geschäftsbereich eines mittelbaren Zulieferers, hat sich die Risikoanalyse und das Risikomanagement des Unternehmens auch auf diesen zu beziehen.
Kein eigenes Haftungsregime: Auf die Implementierung einer eigenen Haftungsregelung wird im Referentenentwurf verzichtet. Dennoch wird man nicht so weit gehen können zu behaupten, dass hierdurch die zivilrechtliche Haftung einfach entfällt. Eine Haftung der Unternehmen für mangelndes Risikomanagement oder unzureichende Risikoanalyse käme auch ohne spezielle Regelung im Lieferkettengesetz vor allem über § 823 Abs. 1 BGB (Haftung für Organisationsverschulden) in Betracht; soweit es die Zulieferer betrifft, wird man auch über eine Zurechnung des Verschuldens gemäß § 831 BGB nachdenken müssen. Im Übrigen liegt es nahe, mit Blick auf die beschriebene Zwecksetzung des Lieferkettengesetzes einen Schutzgesetzcharakter desselben anzunehmen, was eine Haftung über § 823 Abs. 2 BGB eröffnet. Fraglich ist dann, inwieweit den Betroffenen respektive der Vereinigung, die in Prozessstandschaft deren Rechte geltend machen kann, etwaige Beweisvermutungen bei der Beweisführung zugutekommen werden. Haftungsrechtliche Fragen werden durch den neuen Gesetzesentwurf insoweit nicht gelöst, sondern auf die Gerichtsbarkeit ausgelagert.
Prozessstandschaft: Die Möglichkeiten von ausländischen Betroffenen, in Deutschland Klage gegen das betreffende Unternehmen zu erheben, werden durch den Entwurf nicht erweitert. Als Erleichterung für eine mögliche Rechtsverfolgung sieht dieser aber vor, dass derjenige, der eine Menschenrechtsverletzung durch Verstoß gegen die unternehmerischen Sorgfaltspflichten geltend macht, berechtigt ist, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen die Befugnis zur Prozessführung zu erteilen (Besondere Prozessstandschaft).
Bußgeldkatalog: Bei Verstößen gegen die geregelten Sorgfaltspflichten drohen den Unternehmen Bußgelder im sechsstelligen Bereich. Nach den neuesten Informationen rund um den Gesetzesentwurf, der vom Bundeskabinett am 3. März 2021 beschlossen wurde, drohen Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von über 400 Millionen Euro bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen bestimmte Sorgfaltspflichten sogar Bußgelder in Höhe von bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Der durchschnittliche Jahresumsatz, für den der weltweite Umsatz zugrunde zu legen ist, ermittelt sich aus den letzten drei, der Behördenentscheidung vorausgegangenen Jahre.
Kritik aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Wirtschaftsstaatssekretär Nußbaum hat kurz nach Zuleitung des Referentenentwurfs an die Länder und Verbände harte Kritik geübt: der Referentenentwurf entspräche nicht den Vereinbarungen im Spitzengespräch vom 11. Februar 2021 zwischen Bundeskanzlerin Merkel, Vizekanzler Scholz und den drei involvierten Fachministern Heil (Arbeit), Müller (Entwicklung) und Altmaier (Wirtschaft). Das betrifft unter anderem das sensible Thema der Risikoanalysepflicht bei mittelbaren Zulieferern, wenn ein Unternehmen Kenntnis von Menschenrechtsverstößen bei solchen mittelbaren Zulieferern erlangt.
Wenn auch die Kritik des BMWi die Annahme nahelegt, dass das letzte Wort zum Inhalt des Lieferkettengesetzes noch nicht gesprochen ist, muss das Schreiben von Staatssekretär Nußbaum gleichzeitig so gedeutet werden, dass all die übrigen Punkte im Referentenentwurf tatsächlich bereits abgestimmt sind. Welcher Mehraufwand hierdurch auf die Unternehmen zukommt und auf welche internen Umstrukturierungen sich die Unternehmen einstellen müssen, wird das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigen müssen.
Für alle Fragen zum Thema oder zum Gesellschaftsrecht steht Ihnen Rechtsanwältin Dr. Milena Charnitzky (milena.charnitzky@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.
Siehe zum Thema auch den Blogbeitrag vom 21. Januar 2021.