Hauptbestandteil des jetzt vorgelegten Regierungsentwurfes eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ ist das „Gesetz zur Sanktionierung von Verbandsstraftaten“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG-E). Damit soll nunmehr auch in Deutschland – wie bereits in vielen anderen Ländern – ein Unternehmensstrafrecht geschaffen werden, das eine angemessene Ahndung von Unternehmensstraftaten ermöglicht und gleichzeitig Anreize für die Etablierung einer effektiven, sowohl präventiven als auch repressiven Compliance Struktur in den Unternehmen schafft.
Dieses Gesetz, das nach dem Willen der aktuellen großen Koalition bis Ende 2020 verabschiedet werden und dann nach einer zweijährigen Übergangsfrist Anfang 2023 in Kraft treten soll, wird die rechtlichen Anforderungen an Compliance Management Systeme der Unternehmen erheblich verschärfen und sich damit auch auf die Sorgfaltspflichten der Geschäftsführungsorgane auswirken. Dies wird gerade für mittelständische Unternehmen teilweise erhebliche Anpassungen der Unternehmensstruktur erfordern.
Da keine großen Änderungen mehr am Gesetzentwurf zu erwarten sind, sollten Unternehmen möglichst frühzeitig damit beginnen, sich auf die neue Gesetzeslage vorzubereiten und in dieser Hinsicht insbesondere ihre internen Compliance Strukturen überprüfen und gegebenenfalls verbessern.
1. Das Problem: Unzulänglichkeit der aktuellen Regelung
Die aktuelle Regelung, nach der Straftaten, die aus einem Unternehmen heraus begangen werden, gegenüber dem Unternehmen selbst lediglich mit einem Bußgeld nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet werden können, gilt – gerade auch im internationalen Vergleich – zunehmend als unzulänglich. Das Regelwerk des OWiG wurde ursprünglich für Verwaltungsunrecht konzipiert und stellt nach Ansicht der Bundesregierung keine angemessene und zeitgemäße Grundlage für die Verfolgung und Ahndung von Unternehmenskriminalität dar. Deshalb verständigte man sich bereits im Koalitionsvertrag 2018 grundsätzlich darauf, diesen Bereich insgesamt neu zu regeln.
Hauptkritikpunkte bezüglich der aktuellen Regelung sind:
Starre Bußgeldobergrenze von EUR 10 Mio. Dieser Bußgeldrahmen stellt nach Ansicht der Bundesregierung insbesondere gegenüber internationalen Großkonzernen keine angemessene Sanktion dar. Zwar seien in der Vergangenheit vereinzelt auch deutlich höhere Bußgelder gegen Unternehmen verhängt worden, wie z.B. ca. EUR 1 Mrd. gegen die Volkswagen AG im Zusammenhang mit der Dieselaffäre, allerdings betrug dabei das eigentliche Bußgeld nur EUR 5 Mio. Der überschießende Betrag von EUR 995 Mio. entfiel auf die Abschöpfung des durch das rechtswidrige Verhalten erzielten Gewinns und stellt damit nach Ansicht der Kritiker keine Sanktion im engeren Sinne dar.
Opportunitätsprinzip. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gilt darüber hinaus das sog. Opportunitätsprinzip, wonach die Verfolgung auch von schweren Unternehmensstraftaten jeweils im Ermessen der für den konkreten Fall zuständigen Behörde liegt. Dies hat zu einer insgesamt unzureichenden und darüber hinaus regional uneinheitlichen Ahndung geführt.
Auslandstaten. Schließlich können auch Straftaten deutscher Unternehmen im Ausland nach dem OWiG vielfach nicht verfolgt werden, was angesichts der zunehmend globalisierten Tätigkeit von Unternehmen als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird.
2. Die Intention des Gesetzgebers
Mit der geplanten Neuregelung durch das VerSanG-E verfolgt der Gesetzgeber im Wesentlichen folgende Ziele:
Erhöhung und Flexibilisierung der Sanktionen. Durch Einführung eines flexiblen, umsatzabhängigen Sanktionsrahmens sowie alternativer Sanktionsmöglichkeiten soll eine angemessene Ahndung von Unternehmensstraftaten ermöglicht werden.
Einführung des Legalitätsprinzips. Zukünftig gilt, wie grundsätzlich im Strafrecht, das Legalitätsprinzip. Danach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, bei Vorliegen eines hinreichenden Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen einzuleiten. Ein Absehen von Verfolgung ist nur noch in Ausnahmefällen möglich.
Anreize für Compliance. Das VerSanG-E schafft schließlich im Rahmen der Sanktionszumessung sehr starke konkrete Anreize für Unternehmen, angemessene sowohl präventive als auch repressive Compliance Systeme einzuführen. Hierdurch sollen Unternehmensstraftaten verhindert oder zumindest erschwert werden.
3. Die Neuregelung im Einzelnen
Das VerSanG-E besteht im Wesentlichen aus zwei Regelungskomplexen, nämlich den eigentlichen Verbandssanktionen und der Möglichkeit, diese Sanktionen durch entsprechende Compliance Maßnahmen abzumildern oder sogar zu vermeiden.
1. a) Anwendungsbereich
Verbände. Das VerSanG-E erfasst „Verbände“. Darunter fallen alle juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine sowie rechtsfähige Personengesellschaften, sofern deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Die wirtschaftliche Ertragskraft des jeweiligen Verbandes spielt keine Rolle.
Verbandstaten. Sanktioniert werden „Verbandstaten“. Dies sind Straftaten, durch die entweder Pflichten, welche den Verband selbst treffen, verletzt werden oder durch die der Verband bereichert worden ist bzw. werden sollte. Unter gewissen Voraussetzungen werden dabei auch Auslandstaten erfasst.
Leitungsperson. Die Tat muss von einer „Leitungsperson“ des Unternehmens begangen worden sein, also zum Beispiel von Vorständen, Geschäftsführern oder sonstigen Personen, die für die Leitung des Unternehmens in verantwortlicher Position handeln. Allerdings greift das VerSanG-E auch bei Straftaten, die von anderen, nichtleitenden, Mitarbeitern des Unternehmens begangen werden, sofern Leitungspersonen diese Straftat durch angemessene Maßnahmen der Organisation, Auswahl, Anleitung oder Aufsicht hätten verhindern oder zumindest wesentlich erschweren können.
1. b) Sanktionen
Das VersanG-E sieht folgende Sanktionen vor:
- Verbandsgeldsanktion (§ 8 Nr.1 VerSanG-E)
- Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 8 Nr.2 VerSanG-E)
- Bekanntmachung der Verurteilung („name & shame“) (§ 14 VerSanG-E)
- Eintragung ins Verbandssanktionenregister (§§ 54 ff VerSanG-E)
Verbandsgeldsanktion. In der Praxis dürfte auch zukünftig die Verbandsgeldsanktion der Regelfall der gegen ein Unternehmen verhängten Sanktionen sein. Der Sanktionsrahmen beträgt – ähnlich wie nach der bisherigen Rechtslage – bei einer vorsätzlichen Verbandsstraftat bis zu EUR 10 Mio. und bei einer fahrlässigen Verbandsstraftat bis zu EUR 5 Mio. (§ 9 Abs.1 VerSanG-E). Eine wesentliche Verschärfung greift allerdings für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. Für diese beträgt die maximale Verbandsgeldsanktion bei vorsätzlichen Straftaten 10% und bei fahrlässigen Verbandstaten 5% des durchschnittlichen Jahresumsatzes des Verbandes. Ähnlich wie im Bereich des Kartellrechts wird der durchschnittliche Jahresumsatz auf Basis des weltweiten Umsatzes der letzten 3 Geschäftsjahre sämtlicher Personen und Verbände berechnet, die mit dem betroffenen Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren (§ 9 Abs.2 VerSanG-E). Die Höhe der verhängten Verbandsgeldsanktion bemisst sich dabei u.a. anhand der Bedeutung der Verbandstat, der Schwere und des Ausmaßes von Aufsichtspflichtverletzungen und der wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Unternehmens.
Anders als nach den bisherigen Regelungen des OWiG können nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen die durch die Verbandstat erlangten wirtschaftlichen Vorteile zusätzlich zur Verbandsgeldbuße abgeschöpft werden.
Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt. Ist nach Auffassung des Gerichts die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände nicht erforderlich, um den Verband zu künftigem rechtskonformen Verhalten anzuhalten, kann das Gericht den Verband verwarnen und die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion für einen Zeitraum von maximal 5 Jahren vorbehalten (§ 10 VerSanG-E). Das Gericht kann diese Verwarnung mit Auflagen und Weisungen, insbesondere bzgl. Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance Struktur, verbinden. Das sanktionierte Unternehmen muss dabei die Umsetzung und Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen nachweisen. Hierdurch erhalten deutsche Gerichte erstmals die Möglichkeit, einen aus dem US-amerikanischen Rechtskreis bekannten „Compliance-Monitor“ einzurichten.
Öffentliche Bekanntmachung der Verbandssanktion. Bei einer größeren Anzahl von Geschädigten durch die Verbandstat kann die Verurteilung öffentlich bekannt gemacht werden („name & shame“) (§ 14 VerSanG-E). Die öffentliche Bekanntmachung entfällt, wenn das Unternehmen mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet (dazu unten Ziffer 5) und dadurch eine Milderung der Sanktionen erreicht, was in der Praxis einen erheblichen Anreiz zur Kooperation darstellen dürfte.
Rechtsnachfolge; Ausfallhaftung. Sanktionen nach dem VerSanG-E lassen sich auch nicht durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen vermeiden. Hierzu übernimmt der Gesetzesentwurf die durch die 9. GWB-Novelle eingeführten Regelungen zur Haftung des Rechtsnachfolgers (§ 6 VerSanG-E) sowie der Ausfallhaftung von Konzernunternehmen (§ 7 VerSanG-E).
4. Anreize zur Schaffung angemessener Compliance Strukturen
Als Korrelat zu den drastisch verschärften Sanktionen schafft das VerSanG-E sehr starke Anreize für Unternehmen, ihre Compliance Anstrengungen zu verstärken, die zukünftig eine erhebliche Rolle bei der Sanktionszumessung spielen werden. Während eine effiziente Compliance-Organisation zu einer deutlichen Sanktionsmilderung bis hin zu einem vollständigen Absehen von Sanktionen führen kann, werden sich Defizite in der Compliance-Organisation des Unternehmens sanktionsbegründend oder sanktionsschärfend auswirken.
Präventive Compliance. Sanktionsmildernd berücksichtigt werden zunächst, die vom Unternehmen bereits vor der Verbandstat getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten (§ 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSanG-E). Hier soll es nicht nur auf die im Hinblick auf die konkrete Verbandstat relevante Compliance-Maßnahme, sondern auf das gesamte Compliance Management System des betroffenen Unternehmens ankommen.
Repressive Compliance. Auch eine nachträgliche Anpassung und Verbesserung der Compliance-Struktur, insbesondere wenn diese dazu dient, die durch die Tat aufgezeigten Compliance Defizite zu beheben, kann sich sanktionsmildernd auswirken (§ 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E).
Insgesamt wird somit den Compliance Management Systemen künftig eine wesentlich größere Bedeutung zukommen als bisher. Eine Vermeidung oder Verminderung von Sanktionen setzt aber voraus, dass die Compliance Organisation nicht nur auf dem Papier steht, sondern im Unternehmen aktiv gelebt wird. Hier besteht gerade bei mittelständischen Unternehmen erfahrungsgemäß noch Nachholbedarf.
5. Sanktionsmilderung durch Interne Ermittlungen
Neu ist die gesetzliche Regelung von unternehmensinternen Ermittlungen durch das VerSanG-E. Die Verbandssanktion soll gemindert werden, wenn das Unternehmen durch verbandsinterne Untersuchungen wesentlich zur Aufklärung der Verbandstat beiträgt. In diesem Fall entfällt zwingend eine öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes (§ 18 VerSanG-E).
Um eine Sanktionsmilderung zu erreichen, muss die interne Untersuchung aber kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllen:
Wesentlicher Aufklärungsbeitrag. Die interne Untersuchung muss zunächst wesentlich zur Aufklärung beitragen (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E). Insoweit scheidet eine Sanktionsminderung aus, wenn die Strafverfolgungsbehörde den Sachverhalt bereits selbst aufgeklärt hat. Es besteht kein Vorrang der internen Untersuchung vor den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde. Entscheidet sich das Unternehmen, eine interne Ermittlung durchzuführen, ist daher die Schnelligkeit des Prozesses, ähnlich wie im Kartellrecht, von großer Bedeutung. Um möglichst sicher in den Genuss einer möglichst hohen Sanktionsmilderung zu kommen, ist es daher ratsam, im Unternehmen möglichst frühzeitig die für eine interne Ermittlung erforderlichen Strukturen und Prozesse zu schaffen, damit man im Ernstfall die interne Untersuchung konsequent und effektiv vorantreiben kann.
Unabhängigkeit der Untersuchung. Die vom Unternehmen mit der internen Untersuchung beauftragten (Rechts-)Berater dürfen nicht gleichzeitig Verteidiger des Verbandes oder eines Beschuldigten im Rahmen des Sanktionsverfahrens sein (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E). Diese Regelung soll sicherstellen, dass eine interne Untersuchung unabhängig und objektiv durchgeführt und Interessenskonflikte zu einer eventuellen (späteren) strafrechtlichen Verteidigung vermieden werden. Dies soll die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse der internen Untersuchung erhöhen. Betroffene Unternehmen müssen daher die Mandate für die interne Untersuchung und die Strafverteidigung klar abgrenzen und getrennt vergeben.
Uneingeschränkte Kooperation. Das Unternehmen muss darüber hinaus „ununterbrochen und uneingeschränkt“ mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E). Dabei gibt es keine rechtliche Verpflichtung, potentielle Compliance-Verstöße bereits unmittelbar nach Kenntniserlangung gegenüber der Behörde offen zu legen, sondern es ist durchaus zulässig, die Ermittlungen zunächst rein intern durchzuführen. Je später die Offenlegung gegenüber der Behörde erfolgt, desto höher ist allerdings das Risiko, dass die Ergebnisse einen weniger wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat leisten. Entschließt sich das Unternehmen aber zu einer Kooperation, muss diese umfassend erfolgen und, sobald die Strafverfolgungsbehörde im Laufe ihrer Ermittlung an das Unternehmen herantritt, muss dieses unverzüglich entscheiden, ob es kooperieren will oder nicht. Ansonsten entfällt die Möglichkeit der Sanktionsminderung.
Vorlage aller wesentlichen Untersuchungsdokumente. Das Unternehmen muss den Strafverfolgungsbehörden nach Abschluss der internen Untersuchung sowohl das Untersuchungsergebnis als auch alle wesentlichen Dokumente, auf denen das Untersuchungsergebnis beruht, sowie den Abschlussbericht zur Verfügung stellen (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E). Darunter fallen auch interne Dokumente wie etwa Protokolle von Mitarbeiterbefragungen. Auch hieran wird deutlich, wie wichtig es für das Unternehmen ist, eine interne Untersuchung organisatorisch klar von der Vorbereitung einer (Straf-)Verteidigung abzugrenzen, und dies auch zu dokumentieren. Nur so lässt sich vermeiden, dass letztendlich auch im Rahmen der Verteidigung erstellte Dokumente an die Verfolgungsbehörden herausgegeben werden müssen.
Faires Verfahren. Die interne Untersuchung muss schließlich unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt werden (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E). Dies betrifft insbesondere die im Rahmen von internen Untersuchungen häufig zentralen Befragungen von Mitarbeitern und regelt erstmals gesetzlich die diesbezüglichen Rechte und Pflichten von Mitarbeitern und sonstigen Befragten. Erforderlich ist danach, (i) Mitarbeiter vor der Befragung darauf hinzuweisen, dass Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können, (ii) ihnen das Recht auf anwaltlichen Beistand oder zur Hinzuziehung eines Betriebsrates einzuräumen und (iii) ihnen das Recht einzuräumen, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, durch deren Beantwortung sie Gefahr laufen, sich selbst oder Angehörige der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit auszusetzen. Diese gesetzliche Regelung schafft in vielen Bereichen zumindest eine gewisse Rechtssicherheit für Unternehmen und deren Berater im Zusammenhang mit der Durchführung von Mitarbeiterbefragungen.
6. Beschlagnahme von Unterlagen
Ein weiterer Bereich, in dem das VerSanG-E ein bislang heftig umstrittenes Gebiet regelt, betrifft die Möglichkeit von Ermittlungsbehörden, interne Unternehmensunterlagen, auch wenn sie von einer Rechtsanwaltskanzlei erstellt wurden bzw. sich in deren Besitz befinden, zu beschlagnahmen. Durch die Änderung von § 97 StPO sind künftig sämtliche im Rahmen von internen Untersuchungen erstellten Aufzeichnungen und Unterlagen, auch wenn sie sich im Besitz von durch das Unternehmen beauftragten Rechtsanwälten befinden, beschlagnahmefähig. Beschlagnahmefrei sind lediglich Unterlagen, die in einem konkreten Zusammenhang mit der Verteidigung des Unternehmens in einem bereits begonnenen Ermittlungsverfahren stehen, in dem das Unternehmen bereits die Stellung eines Beschuldigten hat. Diese Ausweitung der Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen ist ein weiterer Grund, interne Ermittlungen strikt von der Vorbereitung einer Verteidigung zu trennen und diese Trennung zu dokumentieren.
7. Ausblick
Sofern das Verbandssanktionengesetz, wovon auszugehen ist, im Wesentlichen in der Form des jetzt vorliegenden Regierungsentwurfes in Kraft tritt, wird es beträchtliche Auswirkungen auf die Compliance-Landschaft in deutschen Unternehmen haben.
Zwar sind Geschäftsleiter auch bereits nach geltendem Recht zur internen Aufklärung und Vermeidung von Compliance-Verstößen verpflichtet. Allerdings wird die Bedeutung eines effektiven präventiven Compliance Systems bei der Sanktionszumessung dazu führen, dass bestehende Compliance Management Systeme überprüft und ggf. nachgebessert werden.
Die Möglichkeit, durch umfassende Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden eine zusätzliche erhebliche Sanktionsminderung zu erreichen, wird darüber hinaus das Haftungsrisiko der Geschäftsleiter für den Fall, dass sie sich gegen die erhobenen Vorwürfe konfrontativ verteidigen, deutlich erhöhen. Insofern wird die Neuregelung aller Voraussicht nach dazu führen, dass sich die Anzahl interner Untersuchungen insbesondere im Bereich des Mittelstands sowie der öffentlichen Hand weiter erhöht und im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung deutlich häufiger mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert wird.
Obwohl das Verbandssanktionengesetz erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten wird, sind Unternehmen gut beraten, frühzeitig mit den Vorbereitungen auf die neue Gesetzeslage zu beginnen und insbesondere die für ein effektives Compliance Management System erforderlichen Regelungen und Prozesse daraufhin zu überprüfen, ob sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen und sie ggf. nachzubessern. Bislang gibt es allerdings keine verbindlichen Leitfäden für die Anforderungen an ein effektives Compliance Management System, so dass die jeweilige Geschäftsleitung die Risikosituation ihres Unternehmens analysieren und ein für Einzelfall angemessenes Compliance Management System einrichten muss.
Rechtsanwalt und Partner Dr. Markus Bauer steht Ihnen für weitere Fragen rund um das Thema Unternehmensstrafrecht jederzeit unter markus.bauer@rittershaus.net zur Verfügung.