Mit der Schätzung des Auftragswerts (§ 3 VgV) nimmt der Auftraggeber eine grundlegende Weichenstellung vor: Sie entscheidet über die Geltung des Kartellvergaberechts (§ 106 GWB) und damit zugleich auch über die Anwendbarkeit des vergaberechtlichen Rechtsschutzes nach dem GWB.
Das OLG Schleswig hatte jüngst einen Fall zu entscheiden, in dem eine zweitplatzierte Bieterin die Ermittlung des Auftragswertes eines Bauauftrags moniert hatte (Beschl. v. 28.01.2021 – 54 Verg 6/20). Der von der Auftraggeberin geschätzte Auftragswert lag unterhalb des Schwellenwertes und die Bieterin hätte damit einen potenziellen Vergaberechtsverstoß (hier den Ausschluss des Angebots der Zuschlagsprätendentin wegen Änderung der Vergabeunterlagen) nicht im Wege des Nachprüfungsverfahrens erfolgreich geltend machen können.
Die Auftraggeberin, die ein Messegelände betrieb und den Neubau und die Erweiterung eines Kongresszentrums beabsichtigt, hatte den Auftrag „Mobile Trennwandanlagen“ ausgeschrieben. Die zweitplatzierte Bieterin beanstandete die Ermittlung des Auftragswertes in mehrfacher Hinsicht. Insbesondere argumentierte sie, Kosten für Planung und Bauherrenaufgaben seien im Rahmen der Ermittlung der Gesamtkosten zu berücksichtigen.
1. Wesentlicher Entscheidungsinhalt
Das OLG Schleswig wies die Beschwerde der zweitplatzierten Bieterin zurück. Die Auftraggeberin habe den Auftragswert grundsätzlich ordnungsgemäß geschätzt, der Schwellenwert werde aber nicht erreicht.
Bauherrenkosten (Kosten für die Projektplanung, sonstige Nebenkosten wie die Kosten für Rechtsberatung) und Planungsleistungen, die allein im Interesse des Bauherrn erbracht werden, seien bei der Schätzung des Wertes eines Bauauftrags nicht zu berücksichtigen, da sie nicht für den Bauauftrag als solchen anfielen. Berücksichtigungsfähig seien (bei getrennter Vergabe von Bau- und Planungsleistungen) nur Liefer- und Dienstleistungen, die für die Ausführung der Bauleistungen erforderlich sind und vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VgV). Daran fehle es vorliegend. Die Planungsleistungen – jedenfalls solche für die Leistungen der Leistungsphasen 6 bis 9 nach der HOAI (Vorbereitung der Vergabe, Mitwirkung bei der Vergabe, Objektüberwachung (Bauüberwachung) und Dokumentation sowie Objektbetreuung) – werden nach Auffassung des OLG im Interesse des Bauherrn erstellt. Sie würden den Bauunternehmen nicht zur Verfügung gestellt, um deren Leistung zu ermöglichen, sondern vielmehr um den Inhalt der Leistung zu bestimmen.
2. Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung schafft Argumentationsmöglichkeiten für Auftraggeber. Baunebenkosten und Kosten für Planungsleistungen der Leistungsphasen 6 bis 9 nach der HOAI sind bei der Auftragswertbestimmung nicht zu berücksichtigen. Ob zumindest Planungsleistungen der Leistungsphasen 1 bis 5 nach der HOAI in die Auftragswertschätzung einzubeziehen sind, musste das OLG Schleswig nicht entscheiden. Wie sich andere Oberlandesgerichte dazu positionieren bleibt abzuwarten.
Für alle Fragen zum Vergaberecht oder rund um das Öffentliche Recht stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Michael Wenzel (michael.wenzel@rittershaus.net) und Rechtsanwalt Dr. Christoph Rung (christoph.rung@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.