Öffentliche Auftraggeber sind grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, was sie beschaffen (Leistungsbestimmungsrecht). Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung. Ein bestimmtes Produkt darf der Auftraggeber nur dann vorschreiben, wenn die Produktvorgabe durch den Auftragsgegenstand selbst gerechtfertigt ist oder wenn er den Auftragsgegenstand anderenfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschreiben kann (§ 31 Abs. 6 VgV; § 7 Abs. 2 VOB/A EU).
In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall (Beschl. v. 31.03.2020 – 13 Verg 13/19) hatten die Auftraggeberinnen den digitalen Meldeempfänger, eine Art Pager, eines bestimmten Herstellers für ihre freiwilligen Feuerwehren ausgeschrieben. Zur Rechtfertigung der produktscharfen Ausschreibung machten sie – vereinfacht gesagt –geltend, dass die Verwendung von Meldeempfängern anderer Hersteller zu einem „Mischsystem“ mehrerer Verschlüsselungssysteme innerhalb eines Netzes führen würde. Die dadurch auftretenden zeitlichen Verzögerungen bei der Alarmierung bedeuteten ein Sicherheitsrisiko. Ein Unternehmen, das einen Meldeempfänger mit anderem Verschlüsselungssystem herstellt, rügte einen Verstoß gegen den Grundsatz produktneutraler Ausschreibung. Es machte insbesondere geltend, dass sich aus der bestehenden Vergabedokumentation nicht ergibt, warum es vorliegend gerechtfertigt ist, eine produktscharfe Ausschreibung vorzunehmen.
1. Wesentlicher Entscheidungsinhalt
Das OLG Celle gab dem Konkurrenten Recht. Es erscheine zwar denkbar, dass eine produktscharfe Ausschreibung aus technischen sowie wirtschaftlichen Gründen und damit aus dem Auftragsgegenstand selbst gerechtfertigt sei. Jedoch hätten die Auftraggeberinnen diese möglichen Gründe nicht ausreichend ermittelt und dokumentiert und damit der ihnen obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht genügt.
Die Auftraggeberinnen treffe keine allgemeine Markterkundungspflicht. Sie hätten es aber versäumt, die maßgeblichen Grundlagen ihrer Entscheidung für eine produktscharfe Ausschreibung in einer für die Bieter nachvollziehbaren Weise zu dokumentieren. Die Angaben der Auftraggeberinnen seien insgesamt so allgemein gehalten, dass sie einer Überprüfung nicht hinreichend zugänglich seien. Zu den technischen Grundlagen (z.B. zu aktuellen und zu den zu erwartenden Alarmierungszeiten) fehle es an konkreten Angaben. Der Dokumentation lasse sich ferner nicht entnehmen, inwieweit die Bewertungen der Auftraggeberinnen überhaupt auf Tatsachen basierten.
Die bestehenden Dokumentationsmängel haben die Auftraggeberinnen nach Auffassung des OLG Celle auch nicht im Nachprüfungs- bzw. Beschwerdeverfahren durch Nachholung geheilt. Aus dem Vergabevermerk lasse sich nämlich ersehen, dass die Auftraggeberinnen von unzutreffenden und unvollständigen Tatsachen ausgegangen seien. In diesem Fall scheide eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation aus, weil naheliege, dass die Auftraggeberinnen erstmals im Nachprüfungsverfahren in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen seien.
2. Auswirkungen auf die Praxis
Das OLG Celle betont in dieser Entscheidung die Relevanz der Vergabedokumentation. Der Auftraggeber muss nachvollziehbar und verständlich darlegen und festhalten, warum er produktscharf ausschreibt. Das setzt möglichst konkrete Angaben zum Sachverhalt, erkannten Problemen und technischen Lösungen voraus. Mit einer sorgfältigen Vergabedokumentation schafft der Auftraggeber die Grundlage, um seine Vergabeentscheidung später erfolgreich in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren verteidigen zu können. Auftraggeber, die den Vergabevermerk nur als lästigen Formalismus begreifen und sich abstrakter, floskelartiger Ausführungen bedienen, handeln fahrlässig.
Für alle Fragen zum Vergaberecht oder rund um das Öffentliche Recht stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Michael Wenzel (michael.wenzel@rittershaus.net) und Rechtsanwalt Dr. Christoph Rung (christoph.rung@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.