Diese Woche, am 23. Februar 2022, hat die EU-Kommission ihren Entwurf einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten der Unternehmen in ihren Lieferketten vorgelegt (EU Directive on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive EU 2019/1937). Auf über 60 Seiten hat sich die Kommission mit den EU- und weltweit gesetzten Nachhaltigkeitszielen, den bisherigen europäischen Gesetzen oder -projekten sowie mit den – aus Sicht der Kommission – bestehenden Unterschieden bei den Sorgfaltspflichten auseinandergesetzt. Es ist deutlich absehbar, dass die Richtlinie zu Änderungen am deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) (dazu vgl. unser Newsletter vom 15. Juli 2021) führen wird.
Die Schwerpunkte der Richtlinie sind deutlich gesetzt:
- Schaffung eines einheitlich(er)en Rahmens zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in den Lieferketten und „Bündelung“ der Anstrengungen, um Menschenrechtsverletzungen und insbesondere dem voranschreitenden Klimawandel entgegenzuwirken,
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Fokus liegt dem risikobasierten Ansatz folgend auf der Verantwortung der umsatzstarken bzw. in bestimmten Risikosektoren tätigen Unternehmen bei deutlicher Herabsenkung der Arbeitnehmerschwellenwerte,
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Entlastung von KMUs (diese sind vom direkten Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen),
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Präzisierung des Pflichtenmaßstabs für die Leitungsorgane der Unternehmen,
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Statuierung einer zivilrechtlichen Haftung bei Verletzung der Sorgfaltspflichten und
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effektiver Rechtsschutz der Betroffenen vor den Gerichten der Mitgliedstaaten.
Das Wesentliche in Kürze:
Der Entwurf geht in wesentlichen Details über die bestehenden Regelungen des LkSG in Deutschland hinaus. Sobald die Richtlinie in Kraft tritt, wird es daher aller Voraussicht nach zu einer Verschärfung der Regelungen des LkSG kommen.
Anwendungsbereich
Im Gegensatz zum LkSG wird der Anwendungsbereich der Richtlinie gem. Art. 2 Ziff. 1 und 2 durch eine Kombination der Kriterien Arbeitnehmerzahl und Nettoumsatz definiert, wobei die Arbeitnehmerschwellen gegenüber dem LkSG deutlich niedriger sind:
- Unternehmen mit durchschnittlich > 500 Arbeitnehmern und > EUR 150 Mio. Nettoumsatz weltweit;
- Unternehmen mit durchschnittlich > 250 Arbeitnehmern und einem weltweiten Nettoumsatz von > EUR 40 Mio., wenn mindestens 50 % des Umsatzes in der EU in einem der folgenden Risiko-Bereiche erwirtschaftet wurde: Textilindustrie/ Agrar- / Forstwirtschaft/ Fischerei oder Gewinnung von Mineralien;
- Unternehmen, die unter dem Recht eines Drittstaates gegründet wurden und (i) einen Nettoumsatz von > EUR 150 Mio. weltweit haben;
- Unternehmen, die unter dem Recht eines Drittstaates gegründet wurden und > EUR 40. Mio. in der EU erwirtschaften, wenn mindestens 50 % des Umsatzes in der EU in einem der folgenden Risiko-Bereiche erwirtschaftet wurde: Textilindustrie/ Agrar- / Forstwirtschaft/ Fischerei oder Gewinnung von Mineralien;
Zu berücksichtigen ist jeweils der Nettoumsatz des Geschäftsjahres, das dem Geschäftsjahr vorangeht, für das ein Jahresabschluss/ Konzernabschluss aufgestellt wurde. Leiharbeitnehmer und Teilzeitarbeitnehmer werden so berücksichtigt, als seien sie Vollzeit bzw. für den betreffenden Zeitraum fest angestellt gewesen.
Geschützte Rechtspositionen
Die in einer Anlage zur Richtlinie enthaltene Liste mit geschützten Rechtspositionen bzw. Verboten, auf die sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen beziehen, ist deutlich länger als in § 2 LkSG und in der Anlage zum LkSG. Sie erfasst etwa auch den Schutz aller Rechte des Kindes unter der UN-Kinderrechtskonvention, das Recht indigener Völker auf deren Land sowie klimaschutzbezogene Aspekte (Schutz bedrohter Flora und Fauna, Schutz vor Abholzung der Wälder etc.).
Lieferkette
Die Definition der Lieferkette unter der Richtlinie ist sehr viel weiter als die unter dem bestehenden LkSG: Zum einen erfasst sie explizit die vollständige Absatzkette (upstream und downstream), d.h. auch die Kundenseite; zum anderen erfasst sie auch „Geschäftskontakte“, die auch den Personenkreis, auf die die „Due Diligence“ anzuwenden ist, deutlich erweitert (Art. 3 (g) value chain, (e) business relationship und business partner, (f) established business relationship, Erwägungsgrund 18). Auch der Pflichtenkatalog in Art. 7 und 8 (Präventions- und Abhilfemaßnahmen) ist nicht wie das LkSG auf den eigenen Geschäftsbereich und Zulieferer zugeschnitten, sondern erstreckt sich ohne eine solche Abstufung auf die Business Kontakte. Abweichungen bei den vorgeschlagenen werden nur zwischen vertraglichen und indirekten Beziehungen gemacht – ungeachtet, auf welcher Seite der Lieferkette sie stattfinden. Die Richtlinie unterscheidet sich insoweit fundamental vom LkSG, das beim Umfang des Pflichtenprogramms streng zwischen dem eigenen Geschäftsbereich und den Geschäftsbereichen unmittelbarer und mittelbarer Zulieferer unterscheidet. Die Richtlinie wird hier zu grundlegenden dogmatischen Änderungen des LkSG führen.
KMU‘s
Die Richtlinie ist wie das LkSG (dazu unser Newsletter vom 10. Februar 2022) auch für KMU‘s relevant. Zwar sind KMU’s vom direkten Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Wie unter dem LkSG sind aber die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Unternehmen verpflichtet, für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten zu sorgen. Eine wichtige Neuerung liegt aber darin, dass nach der Richtlinie KMU‘s bei der Erfüllung von Sorgfaltspflichten unterstützt werden, unter anderem durch Kostenübernahme seitens der von der Richtline erfassten Unternehmen für externe Compliance-Audits (Art. 7 Nr. 4, 2. Absatz). Die von der Richtlinie betroffenen Unternehmen werden ferner explizit dazu angehalten, KMU’s zu unterstützen, wenn die Einhaltung deren Code of Conducts die Überlebensfähigkeit des KMU gefährden würde (Art. 7 Ziff. 2 (d)). Als Begründung führt die Kommission an, dass mittelbar von der Richtlinie betroffene KMU’s oftmals nicht über die finanziellen oder personellen Ressourcen verfügen, um alle von den betroffenen Unternehmen gestellten Compliance-Anforderungen einzuhalten. Durch die Richtlinie werden im Übrigen sowohl die Kommission als auch die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Unterstützungsmechanismen für die Unternehmen vorzusehen, etwa Plattformen zum Austausch, vertragliche Musterklauseln und Handreichungen (Artt. 12, 13, 14).
Klimaschutz als langfristiges Vergütungsziel
Anders als im LkSG ist die Bekämpfung des voranschreitenden Klimawandels, insbesondere durch globale Erderwärmung, in der Richtlinie in Art. 15 gesondert hervorgehoben. Unternehmen werden insbesondere verpflichtet, eine Art Aktionsplan auszuarbeiten, um entlang der Vorgaben des Pariser Abkommens die Grenze von 1.5°C Erderwärmung einzuhalten (Art. 15 Ziff. 2). Für den Fall, dass die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens auf den Klimawandel hoch sind, sollen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Unternehmen Emissionsreduzierungsziele in ihren Aktionsplan aufnehmen. Außerdem sollen Klimaschutzvorgaben auch in die langfristigen Vergütungsmodelle der Leitungsorgane einfließen (Art. 15 Ziff. 3). Die Einhaltung dieser Pflichten soll durch die staatlichen Behörden überwacht werden (Art. 17 Abs. 1).
Nationaler Beschwerdemechanismus
Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jede natürliche und juristische Person berechtigt ist, den staatlichen Behörden begründete Zweifel zu melden, dass Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nicht erfüllen. Die Behörden müssen diese Zweifel dann auch prüfen und ggf. weiter ermitteln (Art. 19, 18 ff.).
Zivilrechtliche Haftung
Die Richtlinie sieht ausdrücklich vor, dass die Durchsetzung und Überwachung der Pflichten auf zwei Säulen stehen soll: die öffentlich-rechtlichen Sanktionen und Bußgelder sowie die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen (und Leitungsorgane) für die Verletzung der Sorgfaltspflichten (Art. 22). Eine Haftung soll wiederum ausgeschlossen sein, wenn das Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, es sei denn, die Erwartung, dass die ergriffenen Maßnahmen zur Vermeidung oder Abwendung der Risiken und Verletzungen angemessen waren, wäre unvernünftig gewesen. Dass insoweit auch eine Beweislastumkehr zugunsten der Unternehmen an diesem Punkt zulässig wäre, legt die Formulierung („unless it was unreasonable…“) nahe. Zur Begründung führt die Kommission aus, dass zu viele Unterschiede in den bisherigen Gesetzesregelungen bestehen, die den Rechtsschutz und auch den Wettbewerb gefährde. Als Beispiele werden hier ausdrücklich die französische loi de vigilance (mit zivilrechtlicher Haftungsregelung) und das deutsche LkSG (ohne Haftungsregelung) angeführt, bei dem laut Kommission auch keine Harmonisierung mit den existierenden Haftungsregelungen erfolgt sei.
Rechtsschutz
Auch beim Rechtsschutz stellt die Richtlinie klar, dass jeder Rechtsträger selbständig haftet (Art. 22 Ziff. 3). Insbesondere dürfe ein Betroffener vor nationalen Gerichten nicht allein deswegen abgewiesen werden, weil – etwa durch Eintritt des Schadens in einem außerhalb der EU-Mitgliedsstaaten gelegenen Land – nicht das Recht des Mitgliedstaats anwendbar ist (Erwägungsgrund 61, Art. 22 Ziff. 3, 4, 5). Hier wird der deutsche Gesetzgeber die Regelung in § 11 des LkSG überarbeiten müssen.
Pflichten und Haftung der Leitungsorgane
Ausweislich der Erwägungsgründe hat sich die Kommission auch mit dem unterschiedlichen Pflichtenmaßstab der Leitungsorgane innerhalb der Mitgliedstaaten auseinandergesetzt und die Richtlinie zum Anlass genommen, diese zu präzisieren (Art. 25). Die Richtlinie stellt klar, dass die Leitungsorgane im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht angehalten sein sollen, Nachhaltigkeits- und Klimaschutzaspekte und die Auswirkungen des eigenen Unternehmens auf diese Bereiche fortlaufend zu berücksichtigen. In Konsequenz fordert die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Leitungsorgane verantwortlich sind, die Lieferketten „Due Diligence“ zu implementieren und zu überwachen und im Zweifel auch dafür haften (Art. 25 Ziff. 2, 26).
Ausblick auf das LkSG
Die Richtlinie ist binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten von den Mitgliedstaaten umzusetzen; die Regelungen zu den Unternehmen mit Nettoumsatz unter EUR 150 Mio. binnen vier Jahren (Art. 30). Die Lücke zum LkSG ist groß: dies betrifft insbesondere den Anwendungsbereich, die Reichweite der Lieferkette und die Reichweite der Haftung. Hier wird der deutsche Gesetzgeber in einigen Punkten noch „nachschärfen“ müssen, um das LkSG auf den „europäischen Standard“ zu heben.
Für alle Fragen stehen Ihnen Dr. Daniel Berg (daniel.berg@rittershaus.net), Dr. Milena Charnitzky (milena.charnitzky@rittershaus.net) und Dr. Christoph Rung (christoph.rung@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.
Dieser Blogbeitrag steht Ihnen als Newsletter zum Download hier zur Verfügung.
Weitere Informationen zum zum LkSG:
Newsletter vom 10. Februar 2022 (PDF)
Newsletter vom 15. Juli 2021 (PDF)
Blogbeitrag vom 11. März 2021
Blogbeitrag vom 21. Januar 2021