Mit leichter Verzögerung gegenüber der allgemeinen Entwicklung trifft die COVID-19-Pandemie die Immobilien- und damit auch die Baubranche. Anders als beispielsweise im Einzelhandel, in der Gastronomie oder bei Dienstleistern der Daseinsvorsorge greifen die zu erwartenden gesetzgeberischen Änderungen für „wesentliche“ Dauerschuldverhältnisse, Verbraucherdarlehen und Kleinstunternehmer in den für die Baubranche typischen Situationen jedoch nicht. Was können Bauunternehmer, die von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen sind, also tun?
Wenn infolge der COVID-19-Pandemie ein vereinbarter Ausführungstermin nicht eingehalten werden kann, ist – soweit die VOB/B Anwendung findet – in erster Linie an eine Behinderungsanzeige gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B zu denken. Denn auch wenn die Corona-Krise in den Medien allgegenwärtig und alle Bereiche der Wirtschaft von ihr betroffen zu sein scheinen, muss die konkrete Behinderung im Einzelfall nicht offenkundig im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B sein.
Ob sich die Ausführungsfrist verlängert, hängt davon ab, ob die Verzögerung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht ist, § 6 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c) VOB/B.
Höhere Gewalt definiert die Rechtsprechung als ein von außen auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, das auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann und mit dem der Auftragnehmer nicht zu rechnen hat.
Die unabwendbaren Umstände sind demgegenüber gegeben, wenn sie nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar sind, d.h. trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet und bis auf ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden können.
Folgen der COVID-19-Pandemie können demnach als Auswirkungen höherer Gewalt aufgefasst werden. Dies ist jedoch anhand des Einzelfalls genau zu prüfen. Denn höhere Gewalt scheidet bereits aus, wenn bei der Verzögerung das geringste Verschulden eine Rolle gespielt hat.
Im Einzelfall ist daher genau zu prüfen, worauf die jeweilige Verzögerung genau beruht. Mit einem pauschalen Hinweis auf „Corona“ können Verzögerungen nicht gerechtfertigt werden. Der Auftragnehmer muss seinem Auftraggeber mitteilen, welche Auswirkungen die Pandemie auf seine Leistungserbringung hat und welche Maßnahmen er ergriffen hat, um leistungsbereit zu bleiben.
Kommt es zu einer Unterbrechung der Ausführung „für voraussichtlich längere Dauer“, so sind gemäß § 6 Abs. 5 VOB/B die ausgeführten Leistungen nach Vertragspreisen abzurechnen und die dem Auftragnehmer bereits entstandenen Kosten zu vergüten. Auch die „voraussichtlich längere Dauer“ ist anhand des Einzelfalls zu bestimmen; gewöhnlich liegt sie zwischen einem und drei Monaten. Dauert die Unterbrechung länger als drei Monate, sind beide Parteien zur Kündigung berechtigt, § 6 Abs. 7 VOB/B.
Aus einer Verzögerung oder der Nichtleistung kann sich auch ein Anspruch auf Schadensersatz ergeben. Ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist ebenfalls im Einzelfall zu prüfen. Generell gilt jedoch, dass der Schadensersatzanspruch ein Verschulden voraussetzt. Hieran kann es im Einzelfall fehlen, wenn die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, die zum Schaden führten, nicht vorhersehbar oder vermeidbar waren.
Zu bedenken ist jedoch auch, dass der Auftraggeber dem Bauunternehmer im Rahmen einer Mitwirkungspflicht die Baustelle so zur Verfügung zu stellen hat, dass der Bauunternehmer seine Leistung erbringen kann. Verzögert sich die Fertigstellung eines Vorgewerks, beispielsweise wenn das Rohbauunternehmen aufgrund der Corona-Krise nicht rechtzeitig fertig wird, kann der Bauherr die Baustelle eventuell nicht rechtzeitig bereitstellen. Kommt er dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, schuldet er, auch wenn ihn kein Verschulden trifft, dem Bauunternehmer grundsätzlich eine angemessene Entschädigung, § 642 BGB. Hierbei handelt es sich nicht um einen vollständigen Ersatz für einen konkreten Schaden, sondern um eine Abgeltung dafür, dass der Bauunternehmer fruchtlos Arbeitskraft und Kapital vorgehalten hat und seine zeitliche Disposition durchkreuzt wurde. Voraussetzung ist für den Entschädigungsanspruch allerdings, dass der Bauunternehmer nicht selbst, beispielsweise infolge der COVID-19-Pandemie, an der Leistung gehindert war. Auch für die Frage nach dem Entschädigungsanspruch kommt es daher auf die Umstände des Einzelfalls an.
Der Erfolg einer Rechtsdurchsetzung hängt jedoch nicht selten entscheidend davon ab, wen die Beweislast trifft. Grundsätzlich gilt, dass eine Partei die Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, die ihr günstig sind. Dies gilt im Verhältnis des Bauunternehmens zum Auftraggeber genauso wie im Verhältnis zu einem etwaigen Nachunternehmer.
Bauunternehmer sollten daher
- behördliche Maßnahmen gegenüber dem Unternehmen – wie etwa Betretungsverbote oder Betriebsbeschränkungen – wie auch gegenüber ihren Arbeitnehmern – etwa Quarantänemaßnahmen oder Einreiseverbote – dokumentieren,
- Fälle der Ansteckung oder des Kontakts mit infizierten Personen dokumentieren,
- im Einzelfall die genauen Gründe für eine Verzögerung darlegen,
- ihre Nachunternehmer dazu auffordern, fortlaufend über deren Situation zu unterrichten.
Beim Abschluss von Neuverträgen ist außerdem zu beachten, dass die Corona-Krise nun schon eingetreten ist und bestimmte Auswirkungen daher nicht mehr unvorhersehbar sind. Ein Bauvertrag sollte daher jetzt Regelungen enthalten, die entsprechende Risiken ausdrücklich beim Namen nennen und die hieraus entstehenden Risiken für die Leistungserfüllung ansprechen. Dies gilt zum einen für Liefer- und Ausführungsfristen. Zum anderen muss jedoch auch in den Blick genommen werden, dass die Folgen der COVID-19-Pandemie auf die Wirtschaft im Allgemeinen noch nicht absehbar sind. Nicht auszuschließen ist, dass die Krise sich auf das Preisgefüge in der Bauwirtschaft auswirkt, z.B. bei den Preisen für Baumaterial. Auch hierfür sollten vertragliche Regelungen getroffen werden.
Bei allen Fragen und bei Beratungsbedarf steht Ihnen Rechtsanwalt Dr. Sebastian Stepan (sebastian.stepan@rittershaus.net) gerne zur Verfügung.
Der Autor:
Dr. Sebastian Stepan
Rechtsanwalt
sebastian.stepan@rittershaus.net