Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind allgegenwärtig und stellen viele Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Neben der (inner-)betrieblichen Umorganisation haben sie mit Liefer- und Absatzschwierigkeiten zu kämpfen, die zu erheblichen Umsatzeinbußen führen können. Hinzu tritt die nahezu alle unternehmerischen Bereiche treffende Unsicherheit über die Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten durch ihre Vertragspartner.
Kommt ein Kunde in eine wirtschaftliche Krise, ist jedoch nicht nur die Begleichung von Forderungen durch diesen notleidenden Kunden unsicher. Sofern später über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, besteht zudem die Gefahr, dass bereits erfolgte Zahlungen des Kunden im Rahmen der Insolvenzanfechtung zurück gewährt werden müssen.
Gerade in der aktuellen „Corona-Krise“ fragen sich daher viele Unternehmen, ob sie überhaupt noch Lieferungen oder sonstige Leistungen an möglicherweise insolvenzbedrohte Kunden erbringen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass erhaltene Zahlungen später von einem Insolvenzverwalter angefochten werden. Viele Unternehmen könnten daher geneigt sein, die Belieferung notleidender Kunden frühzeitig einzustellen und hierdurch etwaige Sanierungsbemühungen bereits im Keim zu ersticken.
Um dieser Gefahr zu begegnen, wird der Bundestag voraussichtlich noch im Laufe dieser Woche das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) verabschieden. Durch dieses Gesetz sollen einerseits Liquiditätsgewährungen erleichtert werden, indem die Rückgewähr von Dritt- und Gesellschafterdarlehen weitestgehend der Anfechtung entzogen und zudem auch der Nachrang von in der Krise gewährten Gesellschafterdarlehen aufgehoben wird. Darüber hinaus sollen jedoch auch die allgemeinen Regelungen zur Insolvenzanfechtung (zumindest teilweise) ausgeschlossen werden. Neben diesen „neuen“ Regelungen, kann jedoch auch durch bereits „bekannte und bewährte“ Instrumente das Risiko einer Insolvenzanfechtung weitestgehend minimiert werden.
Bestehen von Insolvenzanfechtungsrisiken
Nach den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO kann ein Insolvenzverwalter gläubigerbenachteiligende Rechtsgeschäfte anfechten und auf diesem Wege Zahlungen, die ein Kunde für eine Lieferung oder Leistung erbracht hat, in voller Höhe zurückfordern.
Zentrale Anfechtungsvorschriften sind dabei § 130 InsO (die Anfechtung sog. „kongruenter Leistungen“), § 131 InsO (die Anfechtung sog. „inkongruenter“ Leistungen“) sowie § 133 InsO (die sog. „Vorsatzanfechtung“).
Stark vereinfacht gesprochen, können nach diesen Vorschriften grundsätzlich sämtliche Zahlungen angefochten werden, bei denen der Gläubiger wusste, dass die wirtschaftliche Situation des Vertragspartners und Schuldners kritisch ist und dieser „am Abgrund wirtschaftet“. Zudem sind sämtliche Rechtsgeschäfte anfechtungsgefährdet, bei denen die tatsächlichen Leistungsbeziehungen von den vertraglichen Vereinbarungen bzw. von den bis dahin gepflegten Leistungsbeziehungen abweichen (sog. „inkongruente Leistungen“). Die Anfechtung einer Leistung kann dabei im Extremfall bis zu 10 Jahre rückwirkend erfolgen.
Zusammenfassend besteht daher gerade bei einer offensichtlichen wirtschaftlichen Krise eines Kunden eine hohe Gefahr, dass ein späterer Insolvenzverwalter in der Krise geleistete Zahlungen im Wege der Anfechtung zurückfordert.
Strategien und Möglichkeiten zur Vermeidung einer Insolvenzanfechtung
Grundsätzlich besteht nur dann relative Sicherheit vor einer späteren Insolvenzanfechtung, wenn die Geschäfte mit dem insolvenzbedrohten Schuldner als sogenanntes „Bargeschäft“ strukturiert werden.
Ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO liegt dabei dann vor, wenn für die Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt.
Ein solcher unmittelbarer Leistungsaustausch ist jedenfalls bei einer Leistungserbringung Zug-um-Zug gegeben. Darüber hinaus orientieren sich die Gerichte bei der Lieferung von Sachen regelmäßig an der sogenannten 30-Tage-Regel, wonach bei einem Kaufvertrag zwischen Leistung (= Lieferung) und Gegenleistung (= Zahlung) keinesfalls mehr als 30 Tage liegen dürfen (je kürzer der Abstand, desto sicherer). Im Zweifel muss also sehr zügig abgerechnet werden oder darf eine Lieferung nur gegen Vorkasse ausgeführt werden.
Vorsicht ist zudem bei erweiterten Eigentumsvorbehalten geboten, die in üblichen Liefer-AGB regelmäßig enthalten sind. Sofern noch weitere offene Kundenforderungen bestehen, steht der erweiterte Eigentumsvorbehalt einem unmittelbaren Leistungsaustausch und damit einem Bargeschäft entgegen. In vielen Fällen ist es daher erforderlich, dass die betreffenden Regelungen der eigenen Liefer-AGB ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Für ein Bargeschäft muss zudem sichergestellt werden, dass die betreffenden Kundenzahlungen eben auf die kurzfristig erfolgenden Lieferungen (und nicht auf andere offene Forderungen) geleistet werden. Gegebenenfalls muss in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine von § 366 Abs. 2 BGB abweichende Tilgungsbestimmung durch den Kunden abgegeben werden; dies kann etwa dadurch geschehen, dass im Verwendungszweck einer Zahlung auf eine konkrete Vorkasse-Lieferung Bezug genommen wird.
Ein anfechtungssicheres Bargeschäft kann daher regelmäßig durch folgende Maßnahmen umgesetzt werden:
- Lieferung nur gegen Vorkasse
- Lieferung unverzüglich nach Zahlungseingang des Kunden
- Ausdrückliche Erklärung, dass die nach Vorkasse-Zahlung erfolgenden Lieferungen nicht unter einem erweiterten Eigentumsvorbehalt erfolgen und ein etwa in den Liefer-AGB enthaltener erweiterter Eigentumsvorbehalt keine Anwendung findet
- Bei der Vorkasse-Zahlung muss strikt darauf geachtet werden, dass damit tatsächlich auf die Vorkasse-Rechnung gezahlt wird (z. B. durch Angabe einer Rechnungsnummer im Verwendungszweck) und der Kunde nicht auf irgendeine ältere Rechnung zahlt oder gar keine Tilgungsbestimmung abgibt
Durch einen Leistungsaustausch nach vorgenanntem Muster kann somit auch unabhängig von der aktuellen Corona-Krise ein wirksamer Anfechtungsschutz erreicht werden.
Einschränkung der Insolvenzanfechtung während der Corona-Krise
Die COVID-19-Pandemie hat in kurzer Zeit dazu geführt, dass viele Unternehmen aufgrund wegbrechender Umsätze akute Liquiditätsprobleme haben. Der Gesetzgeber hat insoweit erkannt, dass die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen erheblich gefährdet ist, wenn sich Gläubiger und Vertragspartner des Schuldners dem Risiko ausgesetzt sehen, dass sie Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren in Folge einer Insolvenzanfechtung wieder herausgeben müssen. Viele Vertragspartner wären geneigt, die Vertragsbeziehungen mit einem erkennbar insolvenzgefährdeten Geschäftspartner schnell zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vieler Unternehmen vollends vereiteln würde.
Diesen Risiken will der Gesetzgeber durch das COVInsAG begegnen, durch welches neben der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und der Lockerung von Zahlungsverboten für Geschäftsführer auch zahlreiche der normalerweise bestehenden Anfechtungsrisiken aufgehoben oder zumindest vermindert werden sollen.
Ausgangspunkt ist dabei zunächst, dass die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO gemäß § 1 COVInsAG bis zum 30. September 2020 ausgesetzt werden soll. Dies soll nach dem Gesetz nur dann nicht gelten, wenn die Insolvenzreife „nicht auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht“ oder wenn „keine Aussichten besehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen“. Es bleibt abzuwarten, was die Rechtsprechung aus dem durchaus Interpretationsspielraum bietenden Wortlaut der Norm macht. Gerichtliche Streitigkeiten über die Auslegung und die Anforderungen an die Beweisführung dürften jedenfalls vorprogrammiert sein. Praktisch wird man jedoch – auch aufgrund einer gesetzlich statuierten Beweislastumkehr und einer Vermutung für die Zahlungsfähigkeit – davon ausgehen müssen, dass die Insolvenzantragspflicht für einen Großteil der sich aktuell und in den kommenden Monaten in wirtschaftlicher Not befindlichen Unternehmen faktisch ausgesetzt wird.
Soweit diese Aussetzung der Insolvenzantragspflicht reicht, sollen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG kongruente Rechtshandlungen nach § 130 InsO in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar sein, es sei denn, der Gläubiger und spätere Anfechtungsgegner wusste, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.
Praktisch wird dies in vielen Fällen dazu führen, dass vertragsgemäß erhaltene Zahlungen eines Kunden selbst dann einer späteren Anfechtung nicht unterliegen, wenn im Zahlungszeitpunkt eine Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzreife des Kunden erkennbar war.
Umfasst von dem Anfechtungsausschluss sind zudem bestimmte „inkongruente“ Leistungen, namentlich Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisungen des Schuldners, die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit (sofern diese nicht werthaltiger ist) sowie die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen. Der vorgesehene Ausschluss der Anfechtung bestimmter inkongruenter Leistungsabwicklungen ermöglicht es Geschäftspartnern, bei Bedarf von den vertraglichen Bestimmungen abzuweichen, ohne dass dies als „verdächtiges“ und damit anfechtbares Rechtsgeschäft angesehen wird.
Der teilweise Ausschluss der Insolvenzanfechtung erfasst dabei sämtliche Rechtshandlungen bis zum 30. September 2020.
Zu beachten ist jedoch, dass der Anfechtungsausschluss lediglich kongruente Rechtsgeschäfte sowie die explizit gesetzlich aufgeführten inkongruenten Handlungen erfasst. In der Gesetzesbegründung wird dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anfechtung inkongruenter Deckungen, die nicht explizit im Gesetz genannt sind, weiterhin möglich bleibt. Auch schließen die temporären Neuregelungen eine Vorsatzanfechtung von Zahlungen nach § 133 InsO gerade nicht aus.
Zudem soll der Anfechtungsausschluss offensichtlich nur dann gelten, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht und wenn eine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht. Worauf die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners beruht und ob Aussichten auf eine Sanierung bestehen, wird ein Vertragspartner jedoch kaum zuverlässig beurteilen können. Trotz der insoweit bestehenden gesetzlichen Beweislastumkehr und der weiteren gesetzlichen Vermutung bleibt das Risiko, dass ein Schuldner bereits vor der COVID-19-Pandemie zahlungsunfähig war oder keine Aussichten auf Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit bestehen – und somit eine Anfechtung doch erfolgen kann –, letztlich alleine beim liefernden Vertragspartner. Gerade beim Leistungsaustausch mit Schuldnern, die sich bereits seit längerer Zeit in der Krise befinden, ist daher nach wie vor höchste Vorsicht geboten.
Zudem führt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht natürlich nicht dazu, dass ein Vertragspartner seine Rechnung auch tatsächlich bezahlen kann. Im Gegenteil wird die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eher dazu führen, dass in den kommenden Monaten Gesellschaften – quasi sanktionslos – am Geschäftsleben teilnehmen, obwohl sie zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten gar nicht mehr in der Lage sind. Bei solchen Vertragspartnern hilft der Ausschluss der Insolvenzanfechtung dann aber gerade nicht (wenn ein Kunde eine Zahlung bereits nicht leistet, kann sie ein späterer Insolvenzverwalter natürlich auch nicht anfechten).
Fazit
Bei einem Leistungsaustausch mit einem sich erkennbar in Insolvenznähe befindlichen Geschäftspartner besteht stets das Risiko, dass erhaltene Zahlungen von einem späteren Insolvenzverwalter angefochten werden.
Dieses Risiko kann üblicherweise durch die Ausgestaltung des Leistungsaustauschs als anfechtungsfestes Bargeschäft nach § 142 InsO vermieden werden, idealerweise durch eine anfechtungssicher ausgestaltete Vorkassezahlung.
Bis zum 30. September 2020 wird ein Leistungsaustausch mit notleidenden Geschäftspartnern zudem durch einen weitgehenden Ausschluss der Anfechtbarkeit erleichtert, was die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen einfacher macht. Dieser Anfechtungsausschluss ist jedoch keinesfalls allumfassend ausgestaltet; gerade beim Leistungsaustausch mit Schuldnern, die sich bereits vor der COVID-19-Pandemie in der Krise befanden, bestehen somit immer noch erhebliche Anfechtungsrisiken. Zudem schützen die gesetzlichen Neuregelungen selbstredend auch nicht davor, dass ein Schuldner seine Rechnungen schlichtweg nicht bezahlt.
Es ist daher nach wie vor – und wahrscheinlich aktuell sogar mehr denn je – Vorsicht beim Leistungsaustausch mit „kriselnden“ Geschäftspartnern geboten.
Rechtsanwalt und Partner Dr. Patrick Treitz steht Ihnen rund um das Thema Insolvenzrecht jederzeit unter patrick.treitz@rittershaus.net zur Verfügung.