Blogbeitrag von Steuerberater Hendrik Grosse, LL.B., M.Sc. und Fachanwalt für Erbrecht/zert. Testamentsvollstrecker Dr. Michael Kühn
Das sogenannte „Berliner Testament“, bei dem sich die Ehegatten im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments wechselseitig für den ersten Erbfall als Alleinerben einsetzen und die Kinder erst im Schlusserbfall vom längstlebenden Ehegatten („den Rest“) erben, ist nach wie vor sehr beliebt und weit verbreitet.
Beweggrund für dieses Testamentskonzept ist regelmäßig der Wunsch des überlebenden Ehegatten nach wirtschaftlicher Absicherung und Unabhängigkeit: Der Längerlebende möchte nach dem Tod des Partners über das eheliche Vermögen frei verfügen, „ohne die Kinder fragen zu müssen“.
Was häufig nicht bekannt ist: Das „Berliner Testament“ hat in seiner Reinform zahlreiche zivilrechtliche und steuerliche Nachteile. In der Praxis sollte es daher stets vom Fachmann an die individuelle Situation der Eheleute angepasst werden.
Der vorliegende Beitrag skizziert einige Modifikationsmöglichkeiten, um die Vorteile des Berliner Testaments zu erhalten und gleichzeitig die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden.
1. Steuerliche Nachteile des Berliner Testaments
Ein gemeinschaftliches Testament in Form eines Berliner Testaments hat aus steuerlicher Sicht mehrere Nachteile:
Zum einen gehen im ersten Erbfall die steuerlichen Freibeträge der Kinder und der ggf. bereits vorhandenen Enkelkinder verloren. Beispiel: Bei zwei vorhandenen Kindern, die ihrerseits jeweils schon zwei Kinder haben, gehen bei Versterben des ersten Ehegatten Freibeträge von zweimal 400.000 EUR und viermal 200.000 EUR verloren, mithin insgesamt 1,6 Mio. EUR! Genutzt wird beim Berliner Testament im ersten Erbfall lediglich der Freibetrag zwischen Ehegatten i.H.v. 500.000 EUR.
Unterstellt man einen mittleren Erbschaftsteuersatz von 19% werden alleine dadurch im o.g. Beispielsfall rund 300.000 EUR Steuerersparnis verschenkt. Bei größeren Nachlässen kann die Ersparnis bei Berücksichtigung der Freibeträge von Kindern und Enkeln nochmals deutlich höher liegen.
Die Anhäufung des gemeinschaftlichen Vermögens der Ehegatten beim überlebenden Ehegatten im ersten Erbfall führt zudem im Schlusserbfall zu weiteren steuerlichen Nachteilen: Häufig reichen dann nämlich die steuerlichen Freibeträge der Kinder nicht mehr aus, um den Nachlass erbschaftsteuerfrei zu halten. Nicht selten unterliegt zudem der Erwerb der Kinder – aufgrund der Zusammenballung des Vermögens beim überlebenden Ehegatten – im zweiten Erbfall einem höheren Steuersatz („Progressionsfalle“).
2. Zivilrechtliche Nachteile des Berliner Testaments
Hinzu kommt, dass durch das „Berliner Testament“ die Kinder im ersten Erbfall enterbt sind. Sie können daher Pflichtteilsansprüche gegen den längstlebenden Elternteil geltend machen.
Abhängig vom Güterstand, in dem das Ehepaar beim ersten Erbfall lebte, können auf den überlebenden Partner neben einer erhöhten Erbschaftsteuerlast somit Ansprüche der Kinder von bis zu 25% des Nachlasswertes zukommen.
Und auch dann haben die Belastungen für den längerlebenden Ehepartner unter Umständen noch kein Ende: Gab es, wie häufig, zu Lebzeiten zwischen den Ehegatten Schenkungen (z.B. eine Übertragung von Immobilien, das Abzahlen des Familienheims nur durch einen Ehegatten oder sonstige Geldschenkungen) können diese im Erbfall auch noch Jahrzehnte später zum sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch führen.
Problematisch ist für den Längstlebenden in all diesen Fällen: Er schuldet eine Geldzahlung. Die pflichtteilsberechtigten Kinder müssen sich nicht mit anderen Nachlassgegenständen begnügen. Häufig muss in diesen Fällen dann Nachlassvermögen verkauft oder ein Darlehen aufgenommen werden. Oder der längerlebende Partner muss sogar auf sein eigenes Geldvermögen zurückgreifen, was den Gedanken der wirtschaftlichen Absicherung völlig konterkariert.
So mutiert das „Berliner Testament“ in der Erbrechtsrealität nicht selten zur kolossalen Liquiditätsfalle.
Die ursprüngliche Vorstellung der Eheleute, dass der Längerlebende über das gesamte eheliche Vermögen frei verfügen kann und dadurch optimal abgesichert ist, erweist sich dann als Trugschluss.
3. Gestaltungsansätze
Bereits wenige Modifikationen können – vom Fachmann angewendet – die aufgezeigten Probleme beseitigen:
Mit Blick auf die Pflichtteilsrechte von Kindern können etwa sog. „Pflichtteilsstrafklauseln“ eine entlastende Wirkung haben. Dabei wird den Kindern vor Augen geführt, dass sie auch im Schlusserbfall enterbt würden, wenn sie den längstlebenden Ehegatten mit Pflichtteilsansprüchen überziehen. Insbesondere soweit Kinder zu Lebzeiten ebenfalls schon Schenkungen erhalten, kann man diese mit der Anordnung einer Pflichtteilsanrechnung oder – noch besser – einem (beschränkten) Pflichtteilsverzicht der Kinder koppeln, um Planungssicherheit für den längstlebenden Elternteil zu erlangen.
Doppelfunktional – nämlich insbesondere mit einer günstigen steuerlichen Wirkung – ist das sog. „Supervermächtnis“. Es ermöglicht durch eine mehrfache Nutzung der erbschaftsteuerlichen Freibeträge ein steuereffizenteres Vererben, indem der überlebende Ehegatte aus einem festgelegten Empfängerkreis die Art, den Zeitpunkt und die Höhe bestimmen kann. Ferner können auch die Progressionsnachteile vermieden werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung eines Supervermächtnisses sind allerdings die Vorschriften des § 6 Abs. 4 ErbStG und des § 2181 BGB in Einklang zu bringen. Nach § 2181 BGB wird bei Vermächtnissen, deren Erfüllung dem freien Belieben des Beschwerten (= dem überlebenden Ehegatten) überlassen wird, unterstellt, dass die Leistung erst mit dem Tod des Beschwerten fällig wird. § 6 Abs. 4 ErbStG stellt wiederrum diese Vermächtnisse den Nacherbschaften gleich, d.h. diese wären dann als Erwerb vom überlebenden Ehegatten zu versteuern. Folge: Die steuerlichen Vorteile des Supervermächtnisses wären dahin. Es sollte also im Rahmen des Supervermächtnisses stets eine Regelung aufgenommen werden, dass das Vermächtnis innerhalb eines bestimmten und vorhersehbaren Zeitraums, der ggf. auch die statistische Lebenserwartung des Längstlebenden berücksichtigen sollte, zu erfüllen ist.
Zu beachten ist, dass die Steuer für ein Supervermächtnis gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ErbStG erst im Zeitpunkt der Erfüllung entsteht. Vorher handelt es sich für die Vermächtnisnehmer (= den Kindern und ggf. Enkeln) nur um eine Erwerbschance. Das führt dazu, dass das Vermächtnis beim überlebenden Ehegatten im Zeitpunkt des Todes des erstversterbenden Ehegatten noch nicht steuermindernd berücksichtigt werden darf. Zunächst kommt es also – wie beim unmodifizierten Berliner Testament – zum „Vollerwerb“ beim überlebenden Ehegatten. Erst im Zeitpunkt der Erfüllung ist der ursprüngliche Erbschaftsteuerbescheid des überlebenden Ehegatten dann dahingehend zu ändern, dass nunmehr eine Nachlassverbindlichkeit in Abzug zu bringen ist. Eine etwa zu viel gezahlte Steuer wird dann erstattet.
Spannend sind Supervermächtnisse auch, sofern der Nachlass des erstversterbenden Ehegatten über begünstigungsfähiges Betriebsvermögen wie z.B. Anteilen an Kapitalgesellschaften verfügt. Für die Höhe der damit verbundenen, tatsächlichen Begünstigung kommt es im Wesentlichen darauf an, ob und in welchem Umfang sog. Verwaltungsvermögen (z.B. Wertpapiere, fremdvermieteter Grundbesitz) vorhanden ist, denn dieses ist bei der Erbschaftsteuer grds. nicht begünstigt. Wurde das Verwaltungsvermögen innerhalb einer Frist von weniger als zwei Jahren angeschafft (junges Verwaltungsvermögen), ist dieses sogar vollständig nicht begünstigt. Bei Existenz eines Supervermächtnisses ist das Verwaltungsvermögen im ersten Erbgang, d.h. beim Übergang des Vermögens auf den längerlebenden Ehegatten, nun zwar zunächst steuerpflichtig. Kann das (ggf. junge) Verwaltungsvermögen im Zeitraum zwischen Erbfall und Vermächtniserfüllung allerdings verkauft werden oder kommt es zu einem „Herauswachsen“ aus der Zweijahresfrist, ist eine Erbschaftsteuerreduktion denkbar. Denn aufgrund der Vermächtniserfüllung ist die ursprüngliche Erbschaftsteuerfestsetzung beim längerlebenden Ehegatten nun zu ändern – womit auch die Steuerpflicht des Verwaltungsvermögens entfällt. Für die im Umkehrschluss entstehende Erbschaftsteuer des Supervermächtnisses sind dagegen die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vermächtniserfüllung maßgeblich.
Daneben erlaubt das Supervermächtnis dem längstlebenden Elternteil zivilrechtlich, den Kindern und ggfs. auch Enkeln Vermögensgegenstände seiner Wahl aus dem Nachlass zuzuweisen. So kann das durch Pflichtteilsrechte entstehende Liquiditätsproblem gelöst werden.
Neben der steuerlich optimierten Vermögensverteilung können Kinder insofern auch für die Übergehung als gesetzliche Erben entschädigt werden. Da hierbei häufig ein besonderes Interesse der Kinder an einzelnen Nachlassgegenständen berücksichtigt werden kann, dient diese Lösung nicht zuletzt dem Familienfrieden. Vorteil dabei: Der längstlebende Ehepartner behält die Kontrolle und kann flexibel reagieren. Sofern Kinder/Enkelkinder im Erbfall noch minderjährig sind, lassen sich ergänzend eine Testamentsvollstreckung und Vermögenssorgeanordnung treffen, um das Familienvermögen zusammenzuhalten oder vor dem unerwünschten Zugriff Dritter (Gläubiger, Schwiegerkinder, usw.) zu schützen.
4. Fazit
Das Berliner Testament in seiner Reinform ist verbreitet, aber häufig zivil- und steuerrechtlich problematisch. Eine fachlich fundierte Beratung und Anpassung auf die individuellen Bedürfnisse ist hier immer anzuraten.
Für Ihre Rückfragen vor und nach dem Erbfall stehen Ihnen Hendrik Grosse und Dr. Michael Kühn jederzeit gerne zur Verfügung.