Hersteller von Medizinprodukten, Benannte Stellen und zuständige Behörden haben sich seit dem 25. Mai 2017 mit einem neuen europäischen Rechtsrahmen für Medizinprodukte auseinanderzusetzen. Mit der Medizinprodukte-Verordnung (MP-VO; regelmäßiger Geltungsbeginn: 26. Mai 2020) und der europäischen Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVD-VO; ; regelmäßiger Geltungsbeginn: 26. Mai 2022 ) ist an diesem Tag ein Regelwerk in Kraft getreten, das fundamentale Bedeutung für die Herstellung, den Vertrieb, die Überwachung, die Registrierung und die Klassifizierung von Medizinprodukten hat. Benannte Stellen müssen die sie betreffenden neuen Regelungen sogar bereits seit dem 26. November 2017 gegen sich gelten lassen.
Hintergrund
Das neue europäische Regelwerk ist in seinem Kern eine Antwort auf Unzulänglichkeiten, die sich unter dem alten Regime immer klarer zeigten. Eine besondere Rolle spielte dabei der Brustimplantate-Skandal, der 2010 offenbar wurde. Frauen in ganz Europa waren Brustimplantate mit mangelhaftem Silikongel des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) eingesetzt worden
Kernziele der neuen EU-Verordnungen
Als solche sind unter anderem zu benennen der größtmögliche Gesundheitsschutz für Patienten und Anwender, eine höhere Transparenz, die gesteigerte Zuverlässigkeit und Solidität klinischer Daten sowie die Schaffung eines stabilen und einheitlichen Rechtsrahmens für die nächsten 10 bis 20 Jahre.
Neue Marktverhaltensregeln
Neu ist unter anderem, dass die Medizinprodukte sogenannten „Gemeinsamen Spezifikationen“ entsprechen müssen, die die Kommission erlassen kann. Sie sind für die Hersteller grundsätzlich verpflichtend. Durch die „Gemeinsamen Spezifikationen“ wird das bisherige System der harmonisierten Normen modifiziert. Es wird abzuwarten sein, ob damit die vom Verordnungsgeber geforderte schnellere Anpassung technischer Spezifikationen an technischen Änderungen tatsächlich erreicht werden kann.
EUDAMED
Ein Novum ist die Schaffung einer europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED). Sie soll die Rolle einer zentralen Informationsplattform für Medizinprodukte übernehmen, in der unter anderem die Produkte, die UDI und die einzelnen Wirtschaftsakteure registriert werden. Sie soll zudem Auskunft geben über Verlauf und Ergebnis klinischer Prüfungen und zudem der Vigilanz und Marktüberwachung dienen. Ob diese Plattform allerdings bereits zum 26. Mai 2020 zur Verfügung stehen wird, ist derzeit noch völlig ungewiss.
Neuerungen für Benannte Stellen
Benannte Stellen können ab dem 26. Mai 2020 Konformitätsbescheinigungen nur dann ausstellen, wenn sie erfolgreich einen Benennungsantrag nach der neuen MP-VO gestellt und auch das Notifizierungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben. Hersteller können deshalb nicht sicher sein, auch nach dem 26. Mai 2020 die Zertifizierung ihrer Medizinprodukte der Klassen IIa, IIb und III bei der bislang von ihnen gewählten Benannten Stelle durchzuführen.
Klassifizierung und Konformitätsbewertung
Bei der Klassifizierung eines Medizinprodukts nach der neuen MP-VO können die Hersteller im Rahmen einer ersten groben Vorprüfung von der bisher bekannten Einordnung ausgehen. Sie sind dann jedoch gezwungen, zu untersuchen, ob insbesondere bei implantierbaren Produkten (Regel 8), bei Software (Regel 11), bei Nanomaterialien (erstmals geregelt in Regel 19) und bei stofflichen Medizinprodukten eine Höherklassifizierung in Betracht kommt.
In-vitro-Diagnostika sind nunmehr in die Klassen A bis D einzuordnen, wobei die Klassen B, C und D einer Konformitätsbescheinigung der Benannten Stelle bedürfen.
Klinische Bewertung und klinische Prüfung
Bei der Bezugnahme auf klinische Daten eines solchen anderen („ähnlichen“) Produkts regelt die MP-VO nun genauer und strenger, welche Voraussetzungen zur Annahme einer solchen Gleichartigkeit erfüllt werden müssen. Erbringt der Hersteller den Nachweis, muss dieser zudem noch von der Benannten Stelle bestätigt werden.
Die klinische Bewertung ist ein komplexer Prozess. Die Verordnung regelt deshalb auch, dass sich ein Hersteller von einem Expertengremium, dessen Berater von der Europäischen Kommission berufen wurden, im Hinblick auf die fundierte Bestimmung der zu erbringenden klinischen Nachweise für die Produkte der Klasse III beraten lassen kann.
Überwachung
Entsprechend der Zielsetzung der neuen Verordnungen hat der Verordnungsgeber umfassende Überwachungs- und Meldesysteme eingerichtet, nämlich
- Die Überwachung der Medizinprodukte durch den Hersteller nach Inverkehrbringen
- Die Vigilanz, also die Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld durch den Hersteller an die zuständigen Behörden mit Hilfe von EUDAMED
- Die Überwachung des Markts der Medizinprodukte durch die zuständigen Behörden.
Fazit
Auch Hersteller von Medizinprodukten, deren Konformitätsbescheinigung noch einige Jahre Gültigkeit hat, sollten sich rechtzeitig mit den zum Teil deutlich gestiegenen Anforderungen des neuen europäischen Rechtsrahmens, der spätestens ab 26. Mai 2020 greift, vertraut machen. Sie sollten insbesondere prüfen, ob ihr Produkt bei der nächsten Konformitätsbewertung in eine höhere Klasse fällt und deshalb auch höheren Prüfungsanforderungen, gegebenenfalls auch der Durchführung klinischer Prüfungen, unterliegt.
Vorstehender Beitrag vermag nur einen sehr groben Überblick geben. Er ist notwendiger Weise unvollständig und kann eine persönliche Beratung nicht ersetzen. Bei Fragen zu diesem Thema wenden Sie sich bitte jederzeit an Rechtsanwalt Dr. Wolf-Henrik Friedrich (wolf-henrik.friedrich@rittershaus.net).