Mit der Verordnung (EU) 2018/302 vom 28.02.2018 (im Folgenden „Geoblocking-VO“) hat die EU-Kommission Konsequenzen aus der Sektoruntersuchung im Bereich E-Commerce gezogen und Regelungen zum sogenannten „Geoblocking“ aufgestellt. Von „Geoblocking“ spricht man im engeren Sinne dann, wenn der Anbieter einer Website, App oder ähnlichen Benutzeroberflächen den Zugang für Kunden aus anderen Ländern sperrt. Praktisch geschieht dies durch Zuordnung der IP-Adressen der Nutzer zu ihren Herkunftsländern. Geoblocking im weiteren Sinne erfasst neben der absoluten Zugangsbeschränkung für Online-Benutzeroberflächen auch sonstige Anknüpfungen an die Herkunft des Kunden, beispielsweise für das Vorhalten unterschiedlicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen sowie Unterschiede bei Preisen und Zahlungsmodalitäten aufgrund der Herkunft, des Orts der Niederlassung oder der Nationalität des Kunden.
Um einem häufigen Missverständnis vorzubeugen: Die Geoblocking-VO verlangt nicht, dass Produkte in sämtliche Länder oder sämtliche Kunden innerhalb der EU geliefert werden und verbietet auch keine unterschiedlichen länderspezifischen Webseiten mit unterschiedlichen Allgemeinen Geschäfts- und Zahlungsbedingungen. Allerdings muss es den Kunden möglich sein, unter mehreren landesspezifischen Onlineshops zu wählen. So kann einem französischen Kunden nicht untersagt werden, den deutschen Onlineshop des Anbieters aufzusuchen, um von den dort gegebenenfalls günstigeren Preisen zu profitieren. Nach Frankreich liefern muss der Anbieter zwar nur, wenn dies im deutschen Onlineshop grundsätzlich vorgesehen ist. Allerdings kann der Anbieter dem französischen Kunden eine Lieferung an eine deutsche Adresse ebenso wenig verwehren wie eine Abholung durch den Kunden. Letzteres wiederum unter der Voraussetzung, dass Selbstabholungen durch Kunden allgemein zugelassen sind. Kurz: die Geoblocking-VO verbietet keine Differenzierung und statuiert insbesondere keine allgemeine Lieferpflicht. Vielmehr regelt diese ein Diskriminierungsverbot aus Gründen der Herkunft, der Nationalität oder dem Ort der Niederlassung.
Wie ist nun das Verhältnis zwischen der Geoblocking-VO und dem Kartellrecht, insbesondere dem Vertriebskartellrecht? Der europäische Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis durchaus erkannt und stellt im 34. Erwägungsgrund klar, dass kartellrechtliche Regelungen, insbesondere die Vertikal-GVO unberührt bleiben. Art. 6 Abs. 1 der Geoblocking-VO bestimmt darüber hinaus, dass die Geoblocking-VO Beschränkungen des aktiven und des passiven Verkaufs im Sinne der Vertikal-GVO, die nicht unter die Verbote der Art. 3-5 der Geoblocking-VO fallen (also Verhinderung des Zugangs zu Online-Benutzeroberflächen sowie Diskriminierungen bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Preisen und Zahlungsweisen), unberührt lässt. Das Vertriebssystem muss sowohl den Anforderungen des Kartellrechts als auch den Anforderungen der Geoblocking-VO genügen. Etwas überraschend bestimmt Art. 6 Abs. 2 der Geoblocking-VO, dass Vereinbarungen bezüglich des passiven Verkaufs, die unter ein Verbot der Art. 3-5 der Geoblocking-VO fallen, per se nichtig sind. Im Übrigen werden die Sanktionen für Verstöße gegen die Geoblocking-VO den Mitgliedsstaaten überantwortet.
Was bedeutet dies nun in der Praxis?
Im Hinblick auf den aktiven Vertrieb ändert sich nichts Wesentliches. Aktive Vertriebsmaßnahmen wie das aktive Anbieten von Waren oder gezielte Werbemaßnahmen fallen nicht unter die Geoblocking-Verordnung. Eine Lieferpflicht oder ein Kontrahierungszwang werden durch die Geoblocking-VO gerade nicht normiert. Das Vorhalten eines Onlineshop oder sonstiger Benutzeroberflächen sowie Diskriminierungen von Kunden durch das Fordern verschiedener Preise oder Konditionen stellen typischerweise Maßnahmen des passiven Vertriebs dar. Die nach der Vertikal-GVO zulässige Zuweisung von exklusiven Gebieten und Kundengruppen, die das Rückgrat vieler Vertriebssysteme bildet, berührt die Geoblocking-VO nicht und bleibt damit weiter zulässig.
Aber auch im Hinblick auf den passiven Vertrieb – also das Reagieren auf Kundenanfragen einschließlich das Vorhalten eines Onlineshop – sind die Wirkungen der Geoblocking-VO überschaubar. Bereits unter der Geltung der Vertikal-GVO wird der passive Vertrieb stark geschützt. So ist es bereits als Kernbeschränkung untersagt, für Händler Gebiets- und Kundengruppenbeschränkungen im Hinblick auf den passiven Vertrieb durchzusetzen. Auch typische Maßnahmen wie die Vorgabe einer automatischen Weiterleitung von Kunden anhand der IP-Adresse oder die Vorgabe kundenspezifischer Preisdifferenzierungen, die sich auf den passiven Vertrieb auswirken würden und die nunmehr explizit unter die Geoblocking-VO fallen, sind als Maßnahmen gleicher Wirkung bereits kartellrechtlich erfasst.
In einigen Bereichen wirkt sich die Geoblocking-VO aber dann doch aus. So wäre es beispielsweise kartellrechtlich zulässig, dass sich der Hersteller selbst verpflichtet, passiven Vertrieb zugunsten seiner Händler zu unterlassen. Die Kernbeschränkungen des Art. 4 der Vertikal-GVO gelten nur für Beschränkungen zulasten der Händler. Betreibt der Hersteller indes einen Onlineshop oder liefert dieser sonst im Rahmen eines dualen Vertriebssystems Waren an Endkunden, so wird sich dieser den Regelungen der Geoblocking-VO nicht entziehen können. Eine automatische Weiterleitung von Kunden an den Vertragshändler des jeweiligen Gebiets, die bislang durchaus häufig praktiziert wurde, ist damit nicht mehr möglich. Gleiches gilt auch in Fällen, in denen der passive Vertrieb deshalb nicht unter das Kartellverbot fällt, weil dem Vertriebsmittler die kartellrechtliche Unternehmereigenschaft fehlt – so etwa bei „echten“ Handelsvertretern, denen nicht mehr in allen Fällen vorgeschrieben werden kann, Kunden aus dem Gebiet eines anderen Handelsvertreters an diesen weiterzuleiten. Diese Fälle gilt es, bei der Konzipierung des Vertriebssystems zu beachten. Bei bestehenden Vertriebssystemen besteht gegebenenfalls Anlass zum Nachjustieren. Insgesamt aber alles gut zu handhaben und kein Anlass zur Panik.
Zum Autor:
Dr. Anno Haberer berät im Kartellrecht und gewerblichen Rechtsschutz sowie im allgemeinen Wirtschaftsrecht. Er steht Ihnen bei Fragen rund um das Thema Geoblocking gerne zur Verfügung.