Der Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) hat seine Schiedsgerichtsordnung überarbeitet. Die 2021 Arbitration Rules gelten für alle Schiedsverfahren, die ab dem 1. Januar 2021 bei der ICC eingeleitet werden, und lösen die 2017 Arbitration Rules ab. Durch die Änderung sind zahlreiche neue Regelungen aufgenommen worden und bestehende Regelungen angepasst bzw. weiterentwickelt worden. Richtschnur bildete dabei die bereits geübte, gängige Schiedspraxis. Zugleich reagiert die ICC damit auf den stetigen und dynamischen Wandel der Zeit. Die Anpassung der Schiedsgerichtsordnung setzt richtungsweisende Impulse hin zu mehr Flexibilität, Effizienz und Transparenz in der Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit.
Im Folgenden bieten wir einen Überblick über die wesentlichen Änderungen.
1. Mündliche Verhandlungen via Videokonferenz
Eine wichtige Neuerung ist die nunmehr vorgesehene Möglichkeit, die mündliche Verhandlungen über Kommunikationsmittel aus der Ferne stattfinden zu lassen. Gemäß Art. 26 Abs. 1 der Schiedsgerichtsordnung kann das Schiedsgericht nach Rücksprache mit den Parteien beschließen, dass die mündliche Verhandlung aus der Ferne per Videokonferenz, Telefon oder durch andere geeignete Kommunikationsmittel durchgeführt wird. Die im ICC-Leitfaden zur Minderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie bereits erwähnte Möglichkeit erhält damit eine verbesserte rechtliche Grundlage. Die ICC ist damit nach dem London Court of International Arbitration die nächste Schiedsorganisation, die im Zuge der Pandemie virtuelle Hearings einführt.
2. Elektronische Einreichung des Schiedsantrags
In Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 4 lit. b) der Schiedsgerichtsordnung ist die Möglichkeit vorgesehen, den Schiedsantrag in elektronischer Form zu stellen. Der Antragsteller muss nur dann eine ausreichende Anzahl von schriftlichen Kopien des Schiedsantrags für jede andere Partei, jeden Schiedsrichter und das Sekretariat einreichen, „wenn der Antragsteller die Übermittlung des Antrags durch Zustellung gegen Empfangsbestätigung, per Einschreiben oder Kurierdienst beantragt.“ Kläger sind allerdings gut beraten, von dieser Möglichkeit nur nach sorgfältiger Prüfung von Art. V Abs. (1) lit. b) des New Yorker UN-Übereinkommens über Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen bzw. entsprechender Regelungen des Zustellungsstaats Gebrauch zu machen.
3. Beteiligung von Dritten am Schiedsverfahren
Die neue Schiedsgerichtsordnung erweitert die Möglichkeiten zur Beteiligung von Dritten am Schiedsverfahren. Gemäß Art. 7 Abs. 5 ist die Einbeziehung dritter Parteien auch nach Ernennung des Schiedsrichters möglich. Dies war nach der bisherigen Fassung gemäß Art. 7 Abs. 1 nur mit dem Einvernehmen sämtlicher Parteien möglich. Voraussetzung für einen späteren Beitritt zum Schiedsverfahren ist jedoch, dass „die zusätzliche Partei die Konstituierung des Schiedsgerichts akzeptiert und, soweit zutreffend, dem Mandat zustimmt.“ Das Gericht berücksichtigt bei seiner Entscheidung über den Beitritt der zusätzlichen Partei alle maßgeblichen Umstände, mögliche Interessenkonflikte und die Auswirkungen dieser Verbindung auf das laufende Schiedsverfahren. Somit ist es nun möglich, dass eine dritte Partei dem Verfahren beitritt, auch wenn nicht alle der teilnehmenden Parteien damit einverstanden sind. Entscheidend ist, dass das Gericht dem Antrag stattgibt.
4. Verbindung von Schiedsverfahren
Gemäß Art. 10 b können Schiedsverfahren auch dann verbunden werden, wenn für die Ansprüche mehrere Schiedsvereinbarungen bestehen.
5. Ernennung der Schiedsrichter
Ausnahmsweise kann der Schiedsgerichtshof gemäß dem neu eingefügten Art. 12 Abs. 9 in die Benennung der Schiedsrichter durch die Parteien eingreifen und alle Schiedsrichter entgegen der Schiedsabrede selbst benennen, wenn ein erhebliches Risiko der Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit besteht, welches die Wirksamkeit des Schiedsspruchs beeinträchtigen könnte. Die Regelung ist nur für absolute Ausnahmefälle gedacht, in denen die Bestellung nach der Schiedsabrede zu schweren Interessenkonflikten führen würde, wie dies bisweilen bei Fällen mit der Beteiligung von mehr als zwei Parteien der Fall ist.
6. Beschleunigte Verfahren
Der Schwellenwert, bis zu dem die Regeln für beschleunigte Verfahren nach Anhang 6 gelten, ist von bisher USD 2.000.000 auf USD 3.000.000 angehoben worden. Die im Hinblick auf eine Vollstreckung in Deutschland problematische Regelung in Art. 2 Nr. 1 von Anhang 6 ist beibehalten worden.
7. Ausschluss neuer Parteivertreter bei Interessenkonflikten
Gemäß dem neu eingefügten Art. 17 Abs. 2 ist das Schiedsgericht nach schriftlicher Anhörung aller Parteien im Interesse der Integrität des Verfahrens befugt, die nach Bildung des Schiedsgerichts neu hinzugekommenen Parteivertreter abzulehnen, wenn dies ansonsten zu Interessenkonflikten führen würde.
8. Drittparteienfinanzierung
Gemäß Art. 11 Abs. 7 müssen die Parteien die Identität Dritter offenlegen, die ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben. Dies gilt insbesondere, wenn eine Partei mit einem Prozessfinanzierer zusammenarbeitet. Hierdurch sollen Interessenkonflikte zwischen Schiedsrichter und dem Dritten vermieden werden.
9. Ergänzender Schiedsspruch
Nach Art. 36 Abs. 3 kann – ähnlich wie in § 321 ZPO – ein ergänzender Schiedsspruch verlangt werden, wenn im Schiedsspruch über im Verfahren erhobene Ansprüche nicht entschieden worden ist. Der Antrag ist innerhalb von 30 Tagen nach Erlass des Schiedsspruchs von der betroffenen Partei einzureichen. Falls das Gericht dem Antrag stattgibt, erlässt das Gericht gemäß Art. 36 Ans. 4 einen ergänzenden Schiedsspruch. Art. 36 Abs. 3 erweitert die bereits bestehende Option, formale Fehler des Schiedsspruchs korrigieren zu lassen, die sich aus Art. 36 Abs. 1 ergibt. Die Regelung weist Parallelen zu § 321 ZPO auf.
10. Fazit
Die 2021 Arbitration Rules enthalten zahlreiche interessante Neuerungen, durch die die Schiedsordnung konsequent weiterentwickelt und modernisiert wird. Die Parteien sollten allerdings stets im Blick behalten, welche Auswirkungen sich aus diesen Neuerungen für die Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit des zukünftigen Schiedsspruchs ergeben können. Besonders problematisch kann dies etwa bei der jetzt zugelassenen rein elektronischen Einreichung des Schiedsantrags sein.
Zu den Autoren:
Frau Victoria Seeliger ist zur Zeit Rechtsreferendarin in unserem Münchener Büro. Rechtsanwalt und Partner Dr. Daniel Berg ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und steht Ihnen für Fragen zum Schiedsverfahren gerne zur Verfügung.