Bereits infolge der COVID-19-Pandemie ist es in den letzten beiden Jahren zu erheblichen Teuerungen und Lieferengpässen bei Baumaterialien gekommen. Infolge des Ukraine-Kriegs hat sich die Situation nochmals verschärft und die Preisspirale geht weiter nach oben. In unserem Beitrag „Krise und Krieg – Auswirkungen auf Bauverträge?“ haben wir bereits aufgezeigt, zu welchen rechtlichen Problemen dies in laufenden Bauprojekten führt und wie diese gelöst werden könnten. Für öffentliche Auftraggeber stellt sich daneben jedoch die weitere Frage, wie im Korsett des Vergaberechts mit der aktuellen Krisensituation umzugehen ist.
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat am 25.03.2022 unter dem Titel „Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“ einen Erlass veröffentlicht, der Handlungsanweisungen für neue und laufende Vergabeverfahren, aber auch Hinweise für Preis(anpassungs)vereinbarungen in bestehenden Verträgen enthält. Der Erlass gilt unmittelbar zwar nur für Baumaßnahmen des Bundes. Jedoch kann dieser auch für andere öffentliche Auftraggeber, wie beispielsweise Kommunen, als erste Orientierungshilfe und Leitfaden dienen.
Bei neuen Vergabeverfahren ist nunmehr während der Geltungsdauer des Erlasses (vorerst bis zum 30.06.2022) für die im Erlass genannten Produktgruppen (Stahl und Stahllegierungen; Aluminium; Kupfer; Erdölprodukten wie Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut; Epoxidharze; Zementprodukte; Holz; gusseiserne Rohre) eine Stoffpreisgleitklausel in den Vertrag einzubeziehen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Fertigstellung der auszuschreibenden Leistung einen Monat unterschreitet.
Diese Regelung ist bemerkenswert und stellt eine deutliche Abkehr von der bisherigen Vergabepraxis dar. Nach dem Vergabe- und Vertragshandbuch für die Baumaßnahmen des Bundes (VHB) sollen Stoffpreisgleitklauseln nur ausnahmsweise vorgesehen werden, wenn (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und vereinbarter Fertigstellung mindestens zehn Monate beträgt. Stoffpreisgleitklauseln sind also eigentlich für Verträge mit längerer Ausführungsdauer gedacht. Der Anwendungsbereich wird durch die Verkürzung auf einen Monat somit erheblich erweitert. Da die Fertigstellung von Bauleistungen nur in sehr wenigen Fällen innerhalb eines Monats ab Angebotsabgabe liegen wird, ist für die vom Erlass betroffenen Stoffgruppen die Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel damit nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
Für laufende Vergabeverfahren ordnet der Erlass ebenfalls an, dass Stoffpreisgleitklauseln einzubeziehen sind. Bis zum Ablauf der Angebotsfrist steht es einem Auftraggeber grundsätzlich frei, die Vergabeunterlagen noch zu ändern und zu ergänzen. Soweit erforderlich, ist dann aber die Angebotsfrist zu verlängern. Dies wird insbesondere bei Verfahren, deren Submissionstermin unmittelbar bevorsteht, erforderlich sein, da die Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel hohe Relevanz für die Kalkulation des Angebotspreises hat. Die Bieter benötigen also ausreichend Zeit, dies bei Angebotserstellung zu berücksichtigen.
Fordern Bieter in laufenden Verfahren die Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel, soll dem grundsätzlich gefolgt werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Fertigstellung unter einem Monat oder der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffes wertmäßig weniger als 1 % der geschätzten Auftragssumme beträgt. Der Erlass geht sogar so weit, dass dem Verlangen der Bieter auch noch nach Angebotseröffnung und damit nach Eingang der Angebote nachgekommen werden soll. Das Verfahren müsste dann in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt werden, um die Stoffpreisgleitklausel einbeziehen zu können. Alle Bieter haben damit die Chance, ihr Angebot nochmals zu überarbeiten.
Bestehende Verträge sind grundsätzlich einzuhalten. Nur wenn ein Preisanpassungsanspruch gemäß § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage seitens des Bieters nachgewiesen wird, ist eine Preisanpassung vorzunehmen. Weiter wird in dem Erlass festgelegt, unter welchen Voraussetzungen in bestehende Verträge nachträglich eine Stoffpreisgleitklausel vereinbart werden kann. Es darf maximal die Hälfte der Leistungen der betroffenen Produktgruppen ausgeführt worden sein. Die Preisgleitklausel darf auch nur für die noch nicht erbrachten Leistungsteile gelten.
Vergaberechtlich wäre allerdings bei nachträglicher Vereinbarung einer Preisgleitklausel ergänzend zu prüfen, ob solche Vereinbarungen im konkreten Fall zulässig sind. Wesentliche Änderungen während der Vertragslaufzeit sind nämlich gemäß § 132 GWB grundsätzlich ausschreibungspflichtig, es sei denn, es liegt einer der dort normierten Ausnahmetatbestände vor. Eine wesentliche Änderung liegt nach § 132 Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 GWB z.B. vor, wenn mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags zu Gunsten des Auftragnehmers in einer im ursprünglichen Vertrag nicht vorgesehenen Weise verschoben wird.
Klargestellt wird in dem Erlass aber ausdrücklich, dass die Erfüllung eines Preisanpassungsanspruchs gemäß § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage bereits keine wesentliche Auftragsänderung darstellen soll, da hierdurch das infolge der Preissteigerungen gestörte Gleichgewicht des Vertrags erst wiederhergestellt werde.
Zudem soll regelmäßig der Ausnahmetatbestand gemäß § 132 Absatz 2 Nr. 3 GWB erfüllt sein. Danach sind wesentliche Vertragsänderungen dann ohne Durchführung einer Neuausschreibung vergaberechtlich zulässig, wenn diese aufgrund von Umständen erforderlich geworden sind, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte und sich durch die Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert. Die Kriegsereignisse in der Ukraine und ihre Folgen sollen für Auftraggeber unvorhersehbar gewesen sein. Der Preis dürfe aber nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Sollte der Preis um mehr als 50 % erhöht werden, wäre dies im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen.
Welche Erkenntnisse lassen sich auf dem Erlass des Bundes für andere öffentliche Auftraggeber sowie Bieter ziehen?
Der Erlass vom 25.03.2022 gilt zunächst nur für Baumaßnahmen des Bundes. Möglicherweise werden auf Landesebene demnächst gleichlautende bzw. ähnliche Verwaltungsregelungen getroffen werden, die dann auch für andere öffentliche Auftraggeber wie Kommunen verbindlich wären.
Bis dahin ist zu raten, bei neuen Ausschreibungen die Möglichkeit der Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel in Erwägung zu ziehen. Eine Stoffpreisgleitklausel hilft nämlich nicht bloß dem Bieter, sondern schützt im Idealfall auch den Auftraggeber vor extrem überhöhten Angeboten, da die Bieter andernfalls erhebliche Risikozuschläge einpreisen werden. Anfragen von Bietern in laufenden Vergabeverfahren sind entsprechend ernst zu nehmen und, soweit sinnvoll und nach den Vorgaben des Erlasses zulässig, Stoffpreisgleitklauseln noch in den Vertrag aufzunehmen. Betroffene Bieter sollten daran denken, dies vom Auftraggeber einzufordern, je nach Verfahrensstadium durch Rüge oder als Bieterfrage. In bestehenden Verträgen sollte bei Vereinbarung einer möglichen Preisanpassung / Nachtragsgestaltung darauf geachtet werden, dass die vergaberechtlichen Anforderungen eingehalten werden. Trotz der Hilfestellung, die der Erlass des Bundes hier gibt, ist eine sorgfältige Prüfung des jeweiligen Einzelfalls in allen Stadien des Vergabeverfahrens letztlich unabdingbar.
Für alle Fragen um den richtigen vergaberechtlichen Umgang mit Preissteigerungen in neuen und laufenden Vergabeverfahren sowie in bereits geschlossenen Verträgen stehen Ihnen Rechtsanwältin Manuela Luft (manuela.luft@rittershaus.net) und Rechtsanwältin Julia Zerwell (julia.zerwell@rittershaus.net) zur Verfügung.