Etliche Bürger ausländischer Nationen halten sich lediglich punktuell in Deutschland auf, ohne zu wissen, dass Sie hierdurch bereits einen steuerlichen Wohnsitz in Deutschland begründen können. Viele setzen den steuerlichen Wohnsitz fälschlicherweise mit dem Wohnsitz nach dem Meldegesetz gleich und wiegen sich daher in Sicherheit. Die An- oder Abmeldung beim Einwohnermeldeamt ist für die Annahme eines steuerlichen Wohnsitzes aber nur ein wenig bedeutsames Indiz.
Wie leicht ein steuerlicher Wohnsitz in Deutschland begründet werden kann und wie schwerwiegend die steuerlichen Folgen der Wohnsitzbegründung ausfallen können, soll der nachfolgende Beispielsfall verdeutlichen:
A ist österreichischer Staatsangehöriger und Theaterschauspieler. Seine Engagements finden größtenteils in und um Wien statt. Er nimmt jedoch auch Auftritte für ein Theater in Berlin wahr. Im Jahr 2019 befindet sich A für sechs Wochen in Berlin, um am Berliner Staatstheater zu spielen. Für diese Zeit wohnt er bei einem befreundeten Künstler in Berlin. A nutzt ein eigenes Zimmer in der Wohnung seines Freundes, er besitzt einen eigenen Schlüssel für die Wohnung und kann diese jederzeit nutzen. Eine (Zweit-)wohnsitzanmeldung nimmt A in Berlin nicht vor. A plant, auch in den Folgejahren die Wohnung des Freundes während seiner Engagements in Deutschland zu nutzen.
Während A’s Aufenthalt in Berlin in 2019 verstirbt seine Mutter in Wien. A ist Alleinerbe des umfangreichen Nachlasses. Zudem hat A neben seinen Einkünften aus seiner Tätigkeit als Schauspieler hohe Einnahmen aus Kapitalvermögen in Österreich im Jahr 2019. Bis heute wurden weder die Erbschaft von seiner Mutter noch die übrigen Einkünfte in Österreich von A gegenüber dem deutschen Finanzamt erklärt.
Auch wenn A sich lediglich für einen geringen Bruchteil des Jahres 2019 in Deutschland aufgehalten hat, hat er nach den strengen Vorgaben der Finanzverwaltung einen steuerlichen Wohnsitz in Deutschland begründet. Ein steuerlicher Wohnsitz liegt vor, wenn
- Zugang zu einer Wohnung besteht,
- diese Wohnung jederzeit (z. B. auch als (Unter-)Mieter mittels eines eigenen Schlüssels) genutzt werden kann und
- die Wohnung auch für einen nicht völlig unerheblichen Zeitraum faktisch genutzt wird und die Umstände auf eine künftige Beibehaltung hindeuten. Für die faktische Nutzung der Wohnung kann bereits ein Zeitraum von mehreren Wochen ausreichend sein.
Folge des steuerlichen Wohnsitzes sind sowohl eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht als auch eine unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht des A in Deutschland für das Jahr 2019. Dazu im Einzelnen:
Durch die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist A nach den nationalen Vorschriften mit seinem Welteinkommen in Deutschland steuerpflichtig. Somit muss A auch sämtliche Einkünfte, die er außerhalb Deutschlands erzielt, in seiner Einkommensteuererklärung dem deutschen Finanzamt mitteilen. Auch wenn die Existenz von Doppelbesteuerungsabkommen Deutschlands auf dem Gebiet der Einkommensteuer mit anderen Staaten (wie Österreich) unter Umständen dazu führen kann, dass keine zusätzliche Steuerbelastung bei A entsteht, stellt die unterlassene Angabe in der Steuerklärung eine Steuerhinterziehung des A dar. Diese ist strafbewehrt und kann wegen der hohen Kapitaleinkünfte des A gar zu einer Freiheitsstrafe führen.
Auch die Erbschaft von seiner Mutter muss A in Deutschland deklarieren und versteuern, da er zum Zeitpunkt des Erbfalls in Deutschland unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig war. Im Gegensatz zu vielen anderen Rechtsordnungen knüpft das deutsche Erbschaftsteuerrecht nicht nur an den steuerlichen Wohnsitz des Erblassers, sondern auch an den des Erben an. Ist eine der beiden Personen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, unterliegt der gesamte Vermögensanfall in Deutschland der Erbschaftsteuer. Auch hier kann sich zwar die Belastung durch etwaige Doppelbesteuerungsabkommen Deutschlands auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer mit anderen Staaten reduzieren. Deutschland unterhält derartige Abkommen aber nur mit Dänemark, Frankreich, Griechenland, Schweden, der Schweiz und den USA. Durch die unterlassene Anzeige des Erbanfalls bei den deutschen Finanzbehörden hat A somit ebenfalls eine Steuerhinterziehung hinsichtlich der Erbschaftsteuer begangen.
Das Risiko der Begründung eines steuerlichen Wohnsitzes lässt sich regelmäßig durch die folgenden Maßnahmen verringern:
- Aufenthalte in gelegentlich genutzten und wechselnden Hotels;
- Lediglich Nutzung einer Schlafstelle (kein eigenes Zimmer) bei Verwandten oder Freunden;
- Nutzung von mobilen Wohngelegenheiten (Wohnmobil, etc.).
Gerade die Abgrenzung zwischen der Nutzung eines eigenen Zimmers und einer bloßen Schlafstelle ist jedoch regelmäßig fließend. Das Vorliegen eines steuerlichen Wohnsitzes ist daher immer eine Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls und bedarf individueller Beratung.
Der dargestellte Fall zeigt, dass der steuerliche Wohnsitz in Deutschland schnell und unbemerkt begründet wird. Die Folge sind umfangreiche Deklarationspflichten, deren Verletzung eine Steuerhinterziehung bedeutet. Bei höheren Summen steht hier ggf. eine Haftstrafe im Raum. Ausländischen Staatsangehörigen ist zu raten, bei nicht völlig untergeordneten Aufenthalten in Deutschland einen etwaigen steuerlichen Wohnsitz prüfen zu lassen und bei Bejahung Ihre Welteinkünfte sowie eventuelle Erbschaften oder Schenkungen den deutschen Finanzbehörden gegenüber offen zu legen.
Für Ihre Rückfragen stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Benjamin Rothmund und Steuerberater Hendrik Grosse jederzeit gerne zur Verfügung