Der BGH hat entschieden, was in Rechtsprechung und Literatur lange umstritten war: Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart und damit eine AGB-Kontrolle eröffnet, ist ein nach §§ 4 Nr. 7 Satz 3, 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B vereinbartes Kündigungsrecht wegen Mängeln vor Abnahme bei Verwendung durch den AG unwirksam.
In dem entschiedenen Fall beauftragte der AG den AN mit Straßen- und Tiefbauarbeiten. Die Auftragssumme betrug rund 3 Mio. Euro. Der AG rügte noch vor Abnahme Mängel mit voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten in Höhe von EUR 6.000. Da eine Nachbesserung nicht erfolgte, kündigte der AG den Bauvertrag nach Fristablauf hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten. Im Prozess klagte der AN auf Zahlung von Restwerklohn und berief sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes der zugrundeliegenden VOB/B-Klausel gegen AGB-Recht.
Der BGH gab dem AN Recht. Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i. V. m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B kann der AG dem AN bereits den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Ein solches Recht benachteilige den AN unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, da nicht nach Ursache, Art, Umfang, Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels differenziert werde. Die Regelung ermögliche dem AG einschränkungslos auch bei unbedeutenden Mängeln eine Kündigung aus wichtigem Grund, obwohl ihm durch die Mängelbehebung erst zur Abnahme kein Nachteil entstünde und er das Werk bei einem unwesentlichen Mangel sogar abnehmen müsste. Dies widerspreche dem Leitbild einer Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB bzw. § 648a BGB, wonach der AN das Vertrauen des AG durch sein vertragswidriges Verhalten derart erschüttern muss, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Ein solcher Fall läge jedoch nur dann vor, wenn neben die mangelhafte Werkleistung noch weitere Umstände hinzutreten.
Vor diesem Hintergrund gelangt der BGH zu dem Ergebnis, dass die Klausel dem gesetzlichen Leitbild widerspricht und deshalb unwirksam ist.
Praxishinweis:
Eine wichtige Entscheidung mit Auswirkungen auf alle aktuellen VOB/B-Verträge. Dem AG ist ein restriktiver Umgang mit Kündigungen vor Abnahme zu empfehlen, die nur auf dem erfolglosen Fristablauf zur Mangelbeseitigung beruhen. Vielmehr müssen im Falle einer solchen Kündigung vor Abnahme Umstände hinzutreten und benannt werden, welche die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für den AG unzumutbar machen. Auch bei der zukünftigen Vertragsgestaltung ist das Urteil zu beachten. Es ist die individualvertragliche Vereinbarung eines außerordentlichen Kündigungsrechts oder jedenfalls eine Anpassung von standardmäßig vereinbarter Klauseln an das gesetzliche Leitbild i.S.v. § 314 BGB bzw. § 648a BGB zu empfehlen.
Der BGH betonte zudem seine ständige Rechtsprechung, wonach jede, auch geringfügige, vertragliche Abweichung von der VOB/B die isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Klauseln eröffne. Auch dieser Umstand wird in der Vertragsgestaltung häufig nicht ausreichend berücksichtigt.
Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an unsere Rechtsanwältinnen Julia Reumann und Stefanie Kögl.