Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie haben nicht nur unmittelbaren Einfluss auf das private und wirtschaftliche Leben in Deutschland, sie wirken sich auch auf die Beweissicherung aus. In diesem Beitrag fassen wir kurz zusammen, was Anspruchsgläubiger und Verfahrensbeteiligte in dieser beispiellosen Zeit hinsichtlich der Möglichkeiten zur Beweissicherung bei Verzögerungen von Gerichtsverfahren beachten sollten.
In nahezu allen Bundesländern beschränkt sich der Gerichtsbetrieb auf Kernbereiche, insbesondere Eilverfahren. Nicht eilbedürftige Verfahren verzögern sich teilweise erheblich. Beim Landgericht Mannheim wurden zum Beispiel alle nicht eilbedürftigen Verhandlungstermine auf einen Zeitraum ab Juli 2020 verlegt, eventuell wird es auch noch zu weiteren Verlegungen kommen. Damit einher geht ein Risiko für die jeweils beweisbelastete Partei, die Beweise zu sichern. Bei Urkunden stellt sich insoweit zwar kein Problem, aber die Erinnerung von Zeugen verblasst immer weiter, die Begutachtung durch Sachverständige kann durch Zeitablauf schwieriger werden und Zeugen könnten womöglich sogar bis zum Termin der Beweisaufnahme versterben.
Absichern kann man sich förmlich durch die Einleitung eines sog. selbständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO). Hierbei handelt es sich um eine Sonderform eines Gerichtsverfahrens, welches zunächst nur der Sicherung der Beweise dient, insbesondere der Begutachtung eines Bauwerks durch einen Sachverständigen oder die Vernehmung von Zeugen. Leider führt ein selbstständiges Beweisverfahren in der Praxis nur ein Schattendasein, denn zur Einleitung des Verfahrens ist es erforderlich, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft macht, dass die Besorgnis des Beweismittelverlustes besteht oder zumindest eine Erschwerung der Benutzbarkeit des Beweismittels droht. Zudem zieht sich auch ein selbständiges Beweisverfahren in der Praxis meist über mehrere Monate oder gar Jahre hin, so dass sich der erhoffte Zeitvorteil in manchen Fällen nicht einstellt.
In der aktuellen Corona-Krise tritt hinzu, dass nicht geklärt ist, ob ein selbständiges Beweisverfahren auch verschoben wird. In den Handlungsempfehlungen der Bundesländer ist dieser Verfahrenstyp in aller Regel nicht gesondert erwähnt, so dass davon auszugehen ist, dass auch selbständige Beweisverfahren „geschoben“ werden.
Bei der Begutachtung von Bauwerken ist daher zu empfehlen, selbst eine aktive Beweissicherung zu betreiben und einen privaten Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen. Der Beweiswert ist in einem Gerichtsverfahren zwar nicht vergleichbar mit einem gerichtlichen Sachverständigengutachten. Das private Gutachten und die Zeugenaussage des Sachverständigen kann aber helfen, zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen aufzudecken und den status quo zu belegen.
Bei Zeugen sollte man zur Beweissicherung zudem eine schriftliche Zeugenaussage erstellen. Dies dient zu einen dem Erinnerungsvermögen des Zeugen, da dieser sich dann an bestimmte Vorkommnisse besser erinnert, man beugt insoweit Erinnerungslücken effektiv vor. Im deutschen Zivilprozessrecht kann man allerdings keinen Zeugenbeweis durch eine schriftliche Aussage ersetzen, so dass auch nach einer schriftlichen Aussage immer noch mit einer persönlichen Zeugenvernehmung rechnen muss. Eine schriftliche Aussage sollte man zumindest bei Risikopersonen, die ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei einer Corona-Infektion aufweisen, durch eine eidesstattliche Versicherung ergänzen, zum Beispiel vor einem Notar oder einem Rechtsanwalt. Auch hier ist die Beweiskraft zwar eingeschränkt im Vergleich zu einer persönlichen Zeugenvernehmung, aber man hat dadurch zumindest nach einem Todesfall noch etwas „in der Hand“ und kann dadurch hoffentlich ein Gericht überzeugen.
Der Autor:
Dr. Marco Wicklein
Rechtsanwalt, Partner,
Zertifizierter Mediator
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Der Autor ist Mitglied der RITTERSHAUS Praxisgruppe Litigation und steht Ihnen rund um das Thema Prozessführung jederzeit unter litigation@rittershaus.net zur Verfügung.
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